Auge um Auge - Moonbow #1 (German Edition)
warum du nichts berührst. Wie lebst du? Warum wir hier sind. Warum du fliehen wolltest. Und warum hat man dich ins Labor gesperrt?« Ihre Stimme wurde höher, überschlug sich beinahe vor Aufregung und Anspannung. »Wieso belügst du mich? Wohin fahren wir jetzt genau und bitte, bitte, sag mir endlich, wer du bist!«
»View, ich …«
»Hast du was genommen?«
»Was?« Wie kam sie darauf?
»Du klingst, als würdest du fast einschlafen oder irgendwie benommen sein.« Sie atmete tief durch. »Wenn nicht gar total high.«
O nein! »Mir geht’s gut.«
»Dir geht’s schlechter als mir. Du nuschelst total. Nun red endlich.« Ihre Stimme klang drängend, besorgt. »Ich verstehe nicht, warum du mir nichts sagst.«
Zac schluckte und sah sich um. Noch war die Insel nicht in Sicht, obwohl sie rasch durch die hohen Wellen der Wasserstraße von Georgia pflügten. Er musste View in die Obhut seines Dads bringen. Er konnte nur beten, dass er sich immer noch auf der Insel aufhielt und nicht zurück in die Stadt gezogen war. Dann wäre er verloren und mit ihm … alles.
»Okay. Tut mir leid, Zac. Ich bin …«
»Nein, nein. Schon gut.« Sie sollte sich nicht wieder schuldig fühlen für etwas, das andere zu verantworten hatten. Sie hatte wahrlich nichts falsch gemacht. Sie war in dem ganzen Schlamassel wohl die einzige ehrliche Seele. Nur er hatte sie zum Ziel gemacht. Er hatte sie in Lebensgefahr gebracht. Er schuldete es ihr, sie in Sicherheit zu bringen, und er schuldete es ihr, ihr die Wahrheit zu sagen. Doch er scheute sich davor. Wie konnte er ihr sagen, dass sie vollkommen allein auf der Welt war, ihre Familie ausgelöscht, und sie dazu diente, die Menschheit irgendwann aufs Abscheulichste zu manipulieren?
Seine Zweifel ließen ihn zögern, obwohl er gerade Luft für eine ausführliche Antwort geholt hatte. Was war, wenn er in Wahrheit alles völlig falsch interpretiert hatte? Wenn View und er, genauso wie der junge Smell, der Florian hieß, und vielleicht noch andere Patienten wirklich als Vorsichtsmaßnahme aus dem Verkehr gezogen worden waren?
Sein Blick verschwamm. Vier, nein sechs schwarze Augen blickten ihn skeptisch, traurig und erwartungsvoll zugleich an. Er brauchte Halt. Schwankte er? Er würde es nicht schaffen, wach zu bleiben … aber er musste. Bis heute Nachmittag blieb ihm Zeit.
»Warum darf ich dich nicht berühren?« View streckte ein wenig hilflos eine Hand aus, ließ sie aber wieder sinken.
In Zac stiegen unvermittelt Tränen auf. Seit seinem vierzehnten Lebensjahr durfte ihn keiner mehr berühren. Ein sanfter Händedruck ließ ihn vor Schmerz aufkeuchen. Alle sieben Jahre ein erneuter Schub seiner verfluchten Gabe. Aber dennoch … Du darfst! Du, View, du dürftest, weil ich dir vertraue. Weil ich mich nach einer Berührung von dir sehne. Ich mich nach dir sehne. Ein Mal berühren, zärtlich über die Wange streicheln. Gott, was hätte er jetzt dafür gegeben, sie sanft in den Arm zu nehmen. Ihr Geborgenheit schenken und sie empfangen. Ihre Haut, ihre Wärme, ihren Herzschlag zu spüren. Ihre Lippen … »Weil es nicht geht«, sagte er, so schroff er konnte, doch es klang lahm, verzerrt.
Er fluchte. Verzweifelt. »Okay, View. Ich werde dir einiges erzählen, ich möchte dir alles erzählen, aber das kann ich erst, wenn wir bei Dad angelangt sind. Dort kann ich es beweisen. Aber du wirst mir jetzt ebenso wenig glauben, wie du mir geglaubt hast, dass du nicht View heißt und dass die Erinnerungen, die du hast, nicht deine eigenen sind.« Er seufzte schwer. Jetzt musste er riskieren, dass sie ihm vollständig entglitt, wenn sie erfuhr, was er ihr angetan hatte.
*
So hatte das nicht ablaufen sollen. Nun ja, eine seiner vielen Stärken war die Improvisation. Es kam schließlich auf das Ergebnis an. Das Wie interessierte die Auftraggeber nie. Bloodhound lächelte die beiden stämmigen Bauarbeiter an und hob die Hände wie zur Kapitulation.
»Eine junge Frau angreifen und das am helllichten Tag. Nee Freundchen, nicht mit uns.«
Der Dickere der beiden kam mit dem langen Eisenrohr auf ihn zu. Bloodhound legte einen leicht unsicheren Gesichtsausdruck auf, der signalisieren sollte, dass er keine Gegenwehr leisten würde.
»Los, ab mit dir. Wir sperren dich so lange in den Bauwagen, bis die Polizei da ist. Die werden sich freuen, bist wahrscheinlich ein mieser Serienvergewaltiger.« Krummnase lachte, dann blickte er wieder ernst. »Ich hasse so etwas! Also geh endlich, bevor wir die
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