Augen für den Fuchs
Nicht mal die Laster waren zu hören.
10
»Hallo?«
Niemand nahm das Gespräch an. Franziska Beetz hatte das nervende Freizeichen im Ohr. Tuuut. Tuuut. Tuuut. Und dabei hatte sie gehofft, dass sie mit diesem Telefonat im Fall Stuchlik ein entscheidendes Stück weiterkommen würden, ihn vielleicht sogar zu den Akten legen könnten. Aber sie hörte nur: Tuuut. Tuuut. Tuuut.
Beetz war auf dem Weg nach Hause gewesen, als ihr die Telefonnummer eingefallen war; sie hatte sie in ihrem Notizbuch gefunden. Monique hatte sie unter Anita Demands Adresse geschrieben. Sie hat nur Handy, der Festnetzanschluss wird ihr zu teuer. Beetz war schnellstmöglich zum Präsidium gefahren und ins Labor gegangen. Cheftechniker Berger von der Technik und seine Kollegen experimentierten, analysierten und dokumentierten und waren wenig begeistert, als Beetz bei ihnen auftauchte. Berger wischte seine Hände an einem dreckigen Lappen ab und kam auf sie zu. Sie gab ihm trotzdem die Hand, auch wenn sie sie gleich an ihren Jeans abschmierte.
»Sie können’s nicht lassen … Ergebnisse morgen, Frau Kollegin, und frühestens Mittag. Wir hatten doch noch gar nicht die Zeit.« Er schluckte wohl seinen Groll hinunter. Es klang trotzdem nicht freundlich. »Heute ist Sonntag, wir wollen auch einmal Feierabend haben.«
Dass auch sie sonntags arbeitete, schien Berger nicht zu bemerken. Trotzdem setzte Beetz nicht auf Konfrontation, sondern bat Berger, mit einem, wie sie hoffte, entwaffnenden Lächeln, ihre Arbeit zu unterstützen.
»Es ist wichtig, Kollege Berger. Sehr wichtig!«
»Immer ist alles wichtig! Dass ich auch mal mit meinen Kindern zum Fußball möchte, interessiert keinen. Außer meine Jungs.«
Sämtliche Kriminaltechniker im Labor hatten ihre Untersuchungen bei diesem Disput unterbrochen, aber mit Charme und sanftem Druck konnte Beetz sie von der Dringlichkeit ihrer Bitte überzeugen.
»Ich komme mit einem anderen Anliegen zu Ihnen, als Untersuchungsprotokolle zu lesen oder neueste Ergebnisse zu erfahren, Kollege Berger, zumindest in diesem Moment.«
»Könnten Sie diese Handynummer im Stadtgebiet finden?« Beetz deutete auf ihr Handy. »Dann telefoniere ich, und Sie sagen mir, wo sich der andere Teilnehmer befindet?«
Beetz zeigte Berger die Nummer auf einem Zettel. Der Techniker nahm den Zettel, studierte ihn gewissenhaft und ohne Regung. »Den könnten wir aber auch in Honolulu oder der Antarktis orten.«
Beetz schluckte und verbiss sich einen kurzen Anflug von Wut. »Dort wird sie hoffentlich nicht sein, die Person, die ich suche.«
»Wen suchen Sie denn?«
»Eine Zeugin im Fall Frank Stuchlik. Ich habe die Telefonnummer der Nachtschwester. Unter der angegebenen Adresse ist sie nicht zu finden. Das Handy ist unsere einzige Chance.« Die Männer blickten missmutig. »Bitte.« Beetz versuchte den Schmollmund und die großen Augen der Leipziger Tatortkommissarin und stellte sich auf längere Diskussionen ein. Berger befahl zwei Kollegen, sich mit ihm der Lösung ihres Problems anzunehmen.
»Ungern, Frau Kollegin, aber wenn‘s hilft.«
Der Chef der Technik leitete sofort alles in die Wege, installierte die Fangschaltung, machte die Aufnahmegeräte einsatzbereit.
»Bislang ist das die einzige Chance, um in dem Fall weiterzukommen.«
»Ah ja«, sagte Berger und steckte den Zettel mit Nummer in die Brusttasche seines Hemdes. »Versuchen wir’s mal.«
»Ich bitte darum.«
»Wissen Sie, was der Staatsanwalt dazu sagt?«
»Nein.« Beetz war sich der rechtlichen Konsequenzen bewusst. »Gefahr im Verzug.«
»Wenn Sie meinen.«
Mit einem Kollegen verschanzte sich Berger hinter Apparaturen, die aussahen, als wären sie die Bodenstation der International Space Station. Monitore blinkten. Beetz sah erleuchtete Skalen und bunte Lichter. Sie war abgestoßen und zugleich fasziniert. Bei der Verbrechensaufklärung setzte sie auf psychologisches Geschick, aber ohne die technischen Mittel wäre erfolgreiche Ermittlungsarbeit schwer möglich. Sie mochte nicht überlegen, wie viel Zeit die jetzige Recherche früher in Anspruch genommen hätte. Heute genügten Minuten. Sie sah auf die Uhr. Na gut, vielleicht Stunden. Sie wählte und hielt das Handy ans Ohr. Tuuut. Am anderen Ende nahm niemand ab. Tuuut. Verdammt! Tuuut.
»Hallo? Hallo?«
Tuuut. Beetz saß wie auf Kohlen. Die Kollegen grinsten. Nichts. Das Handy, wem immer es gehörte, war angestellt und funktionierte, aber niemand schien das Läuten zu hören. Auch sie vergaß ihr Handy
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