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Augen für den Fuchs

Titel: Augen für den Fuchs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henner Kotte
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tot, Mutter!«
    Die Alte schwieg. Der Biertrinker schwieg. Miersch trank. Und die Wirtin ging hinter ihren Tresen zurück und wischte sinnlos über den Zapfhahn.
    Matze nahm Rosel in seine Arme, drehte eine Runde mit ihr und setzte sie zurück auf ihren Stuhl. »Ihre Gedanken spielen verrückt. Anne, sie weiß es nicht mehr.«
    Die Wirtin hinterm Tresen fuhr sich mit den Fingern unter die Augen, vielleicht verwischte sie Tränen. Matze streckte seine Hand aus, als wollte er ihr über den Arm streichen. Sie trat erschrocken zurück. »Lass das!«
    Matze legte seine Hand auf den Tresen. Miersch trank das Bier aus und überlegte, ob er noch ein neues bestellen oder sich im Zimmer schlafen legen sollte. Aber Anne lächelte ihn an und nahm sein Glas entgegen.
    »Nor eens?«
    »Na ja. Wenn Sie noch nicht schließen.«
    »Escha! Nor lang ni.«
    Anne ließ das Bier laufen und sah ihn dabei an. Matze wandte sich Miersch zu, als würde ihn Eifersucht quälen. Seine strengen grauen Augen schwammen wie Fische und bemühten sich, Miersch zu fixieren.
    »Was machste denn nu hier, Bayer? Kommt ja freiwillig keener gern her.«
    »Ich komme aus der Klinik.« Miersch deutete in die Richtung, in der er das Krankenhaus vermutete. »Hatte zu tun da.«
    Matze fühlte sich bestätigt. »Siehste. Klinik. Also nicht freiwillig.«
    Die Wirtin fragte kaum hörbar: »Verwandte?«
    Mierschs Schweigen interpretierte Matze als Zustimmung. Die Wirtin blickte an ihm vorbei.
    »Für Krankheiten kann keiner was. Außer für Aids.« Matze spielte den Verständigen. »Ja, es ist schon ni leecht, wemmers schwernimmt.«
    Der Scherz war keiner und konnte sich auf alles und auf nichts beziehen. Aber wahrscheinlich galt sein Trost auf diesem Umweg Anne, der Wirtin. Aber die nahm von Matze keine Kenntnis und zapfte, für wen auch immer.
    »Ja. Krankenhaus. Schrecklich«, sagte Matze und nahm einen Schluck. »Ich mechte da ni rein.«
    Der Grund seiner Anwesenheit in der Klinik war j a nicht wirklich gelogen. Miersch beließ es dabei, sollten sie von ihm halten, was sie mochten. Er wollte nur seine Ruhe und nicht mehr an Philip Thede im Koma denken müssen. Die Begegnung hatte ihm mehr zugesetzt, als er sich eingestehen wollte.
    Hinter ihnen fiel plötzlich ein Stuhl um. Miersch hörte schlurfende Schritte. Rosel zupfte ihn am Ärmel, wahrscheinlich bestand sie auf ihren Tanz. Damenwahl. Aber ihr Gesicht war zu ernst. Wie zur Warnung hob sie den Finger. »Junger Mann, ich rate Ihnen, von hier zu verschwinden. Das Haus ist verflucht. Seit fünfzig Jahren ist es verflucht.«
    Ein Laster dröhnte, als würde er durch den Gastraum fahren.
    »Mutsch! Schluss jetzt!« Anne rannte hinterm Tresen hervor. »Du vergraulst mir doch alle Gäste!«
    Die Alte fixierte ihn klaren Auges und kam auf Miersch zu. »Ich sage es Ihnen: Verflucht!«
    »Mutsch! Aber ab jetzt ins Bett!«
    Rosel hatte sich Mierschs Arm gekrallt. »Glauben Sie mir, hier wird nur gestorben. Haus der toten Augen nennen sie es …«
    »Mutsch! Komm!« Anne zog an ihrer Mutter, aber die Alte hielt sich so an ihm fest, dass es Miersch wehtat. Matze verließ seinen angestammten Barhocker, um Anne zu helfen und die Mutter aus dem Gastraum zu bringen. Miersch versuchte, die in seinen Oberarm verkrampften Finger Rosels zu lösen. Erstaunlich viel Kraft besaß die Alte, sie ließ nicht locker.
    »Hajo hat dem Mädchen nicht die Augen ausgestochen«, schrie sie. »Das hätte er niemals tun können. Mein Hajo hat sie nicht getötet! Er nicht!«
    »Mutsch! Hör jetzt auf!«, schrie Matze.
    Miersch wunderte sich über diesen familiären Ton. Doch die Alte sah Matze an, als trage er die Schuld. Der Feuerwehrmann verdrehte Rosel den Arm auf den Rücken. Sie weinte.
    »Hajo ist kein Mörder!« Sie schrie es, dann wurde sie verschwörerisch leise. »Sie haben ihn auch umgebracht, meinen Hajo!« Und wie bei einem Ballon entwich der Alten die Luft. Sie sackte zu Boden. Matze fing sie gerade noch auf.
    »Hajo hat nicht getötet«, stammelte Rosel und schluchzte. Es klang wie ein Rülpsen. »Hajo ist kein Mörder. Sie lügen! Alle hier lügen sie!«
    »Verzeihen Sie bitte.«
    Anne kam hinter ihrer Theke hervor und strich ihm abbittend über die Hand. Dann griff sie ihrer Mutter unter den einen Arm, den anderen hielt Matze jetzt beinahe zärtlich. Sie führten Rosel hinaus.
    Aber Mutsch war wieder bei Atem. »Hauen Sie ab, Mann! Rennen Se nich in Ihr Unglick! Sie sinn dor nor immer im Haus.«
    Die Tür schlug. Dann Stille.

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