Augen für den Fuchs
von wo aus man mit ihr telefonierte. Tuuut. Tuuut. Tuuut. Allerdings würde der Staatsanwalt, wenn sie keine Nachtschwester am anderen Ende erwischte, Widerspruch einlegen, und sie hätte sich für den Einsatz unlauterer Mittel zu verantworten.
»Hallo?«
Immer noch keine Antwort.
»Grünau! Das Handy liegt in Grünau!«
Berger und seine Kollegen hatten die Signale tatsächlich geortet. Grünau, Neubauviertel, im Westen der Stadt. Im Film würden die Kommissare jetzt die Nummer wählen und in der Flughafenhalle ginge der Gangster ans Handy. Die Polizisten erkannten ihn augenblicklich. Der Verbrecher erkannte sie. Es gab eine Verfolgungsjagd durch lange Flure, dunkle Gänge, über Treppen und Straßen. Autos bremsten mit quietschenden Reifen. Müllcontainer fielen. Pfiffe. Hupen. Das reinste Chaos.
Aber Beetz stand in Bergers Labor. Und Anita Demand in Grünau über ein Handy zu finden, das sie nicht abnahm, war unmöglich. Bergers Computer konnten das Gebiet zwar eingrenzen, aber es war zu groß, um eine genaue Adresse zu ermitteln. Den Gesprächsteilnehmer von hier aus genau zu lokalisieren, wäre ein Zufall wie der Sechser im Lotto. Und Beetz spielte nicht, weder Lotto noch Skat.
»Hallo?«
Tuuut. Tuuut. Tuuut. Die Technik hatte soeben bewiesen, dass das Handy überhaupt existierte und in Bereitschaft war. Es klingelte. Das Freizeichen ertönte. Doch wem gehörte dieses Handy, wer war die Frau, die Schwester Monique als Anita Demand kannte. Die Polizisten hinter den Monitoren und Steuerpulten schauten gebannt auf flackernde Lichter. Die Aufnahmetechnik war allseits bereit. Doch niemand nahm ab. Tuuut. Tuuut. Tuuut. Wider Vernunft und besseren Wissens, vielleicht um den Technikern ihre Dankbarkeit zu demonstrieren, rief Beetz immer wieder übers Freizeichen hinweg: »Hallo? Hallo?«
Beetz stand unter Druck, den sie sich selbst machte. Diese Nummer war ihre Chance, jene Anita Demand finden, die zur Tatzeit im Krankenhaus gewesen war. Und dass in der Nacht jemand auf Station Dienst getan hatte, war so gut wie sicher. Die Aussagen der Demands, die sie besucht hatte, waren sehr schnell als Lügen überführbar. Aber die Schwester war gewiss nicht Anita aus der Geutebrückstraße gewesen. Die hatte den Geburtstag der Mutter vorbereitet und sich die Nacht nicht bei den Krebskranken um die Ohren geschlagen. So viel Menschenkenntnis traute sich Beetz zu: Diese Anita war nicht die von ihnen Gesuchte. Diese Anita Demand war bei der Sparkasse beschäftigt. Die Demands kannten keinen Frank Stuchlik, wussten nichts von dessen Leiden und dessen Tod. Beetz war davon überzeugt, auch wenn sie es noch nachprüfen musste.
»Hallo?«
Wenn Anita Demand aus der Geutebrückstraße abnahm, würde Beetz das Handy an die Wand klatschen. Doch genau unter dieser Nummer hatte Monique die Nachtschwester erreicht, die es jetzt nicht mehr zu geben schien. Tuuut. Tuuut. Tuuut. Im Ohr hatte Beetz nur immer das Freizeichen, aber noch gab sie nicht auf. Wie oft hatte sie schon ihr Handy verlegt. Manchmal rief sie von ihrem Festnetzanschluss ihr eigenes Handy an, um das Ding in der Wohnung zu finden. Tuuut. Tuuut. Tuuut. Eine Mailbox gab es anscheinend nicht. Auch das wäre eine Spur gewesen. Was hatten sie? Ein Handy in Leipzig-Grünau und keine Adresse. Zehntausende lebten da.
»Challoh?«
Sie glaubte es nicht, nach Minuten hatte einer die Annahmetaste gedrückt.
»Challoh?«
Die Stimme der Frau war kratzig, tief und sprach mit einem starken Akzent. Beetz hatte kaum noch mit diesem Erfolg gerechnet. Ihr fehlten die Worte.
»Hallo?«
Das hatte sie schon hundertmal in den Hörer gerufen. Sie wischte sich den Schweiß aus der Stirn. Sie musste sprechen. Vielleicht sprach sie mit der Mörderin.
»Anita Demand?«
»Yo.«
Hier spricht die Polizei verbot sich zu sagen. Allein das Wort Polizei ließ Zeugen verstummen. Wahrscheinlich hätte Beetz damit das Gespräch abgebrochen, bevor es begann. Denn irgendetwas stimmte nicht. Irgendetwas verbarg diese Anita Demand, oder wer immer sie war, am anderen Ende der Leitung. Vielleicht sprach Beetz jetzt mit der Mörderin von Frank Stuchlik. Sie hörte die Frau atmen.
»Können Sie ins Krankenhaus kommen? Das Kind der Kollegin hatte einen Unfall, sie muss sofort zu ihm. Und sonst ist keiner da, der diesen Dienst übernimmt. Allein ist’s nicht zu schaffen. Frau Demand, könnten Sie?« Die Idee war ihr plötzlich gekommen. Selbst Berger und Kohlund würden stolz auf sie sein.
»Yo.«
»Sie
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