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Augen für den Fuchs

Titel: Augen für den Fuchs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henner Kotte
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schnell ein Ei oder Schinkenspeck.«
    »Nein, danke.«
    Er freute sich auf das Frühstück. Zu Hause hatte er weder Zeit noch Muße, es zu genießen. Die Arbeit und Margo belasteten ihn oft schon am Morgen bis zur Unerträglichkeit. Und hier saß er fast losgelöst von den Alltäglichkeiten bei Bäckerbrot, hausgemachter Konfitüre und Schinken. Miersch goss Milch in den Kaffee, schnitt, schmierte und biss ins Brötchen. Reporting From Rangoon sang Till Brönners Trompete.
    »Ich muss mich für meine Mutter entschuldigen.«
    Die Wirtin stand an seinem Tisch, Anne vom gestrigen Abend. Sie beeindruckte ihn in diesem Morgenlicht noch mehr als gestern. Das Licht ließ ihre Locken wie einen Kranz erscheinen. Sie strahlte vor Energie und Tatendrang. Es wunderte Miersch, dass sie so früh auf den Beinen war, Kneipenabende konnten sehr lang werden. Aber sie hatte Matze unter Protest aus ihrem Lokal geschmissen und war dann wahrscheinlich selbst todmüde ins Bett gesunken. Miersch beschlich ein Gefühl von Unwirklichkeit, wenn er an die vergangene Nacht dachte. Die Dunkelheit hatte ihn umhüllt wie ein Tuch. Die Scheinwerfer der Laster hatten es immer wieder zerschnitten. Hunde hatten gebellt und Käuzchen geschrien. Miersch hatte sich in Annes Gasthof wie im Wirtshaus von Dartmoor gefühlt. Doch jetzt stand eine strahlende Wirtin vor ihm, und die Nacht erschien ihm wie ein schlechter Traum aus der Kindheit.
    »Keine Ursache. Mich hat’s nicht gestört.«
    »Aber Sie waren verschwunden, als wir zurückkamen. Sie haben sich unwohl gefühlt und nicht mal Ihr Glas ausgetrunken. Man lässt Gäste nicht einfach stehen, als Wirtin schon gar nicht.« Es klang, als würde Anne sein zeitiges Gehen bedauern, als hätte sie gern bei Wein oder Bier noch mit ihm geredet.
    Miersch hatte gestern Abend nicht auf solche Zwischentöne geachtet, jetzt ärgerte er sich, dass er sie überhört hatte. Diese Nacht hätte er anders verbringen können. Aber auch das war wohl ein Traum, sagte er sich und versuchte zu lächeln.
    »Es war spät genug. Ich muss früh zur Arbeit.« Das klang abweisender, als er es sagen wollte, und sein Lächeln missglückte. Miersch griff hektisch zur Tasse und trank einen Schluck Kaffee, schwarz, stark. Er nickte anerkennend, um keinen noch blöderen Eindruck bei der Wirtin zu hinterlassen. »Aber vorher kann ich hier Ihr Frühstück genießen. Herrlich. Lecker.« Er schmierte das nächste Brötchen und nahm von der Heidelbeer-Kirsch-Marmelade. »Kochen Sie diese Delikatesse selbst?«
    Anne blickte verschämt zu Boden, fast wurde sie rot. »Ja. Mutti macht’s gern und hat was zu tun. Nur das Hygieneamt darf’s nicht erfahren, von wegen steriler Zubereitung.«
    »Da kommt so ein chemischer Pamps raus, der in den Regalen der Supermärkte steht. Sagen Sie Ihrer Frau Mutter sehr köstlich, sehr köstlich.«
    »Ich gebe Ihnen gern ein Glas mit.«
    »Den Aufpreis bezahl ich.«
    Sagen Sie Ihrer Frau Mutter … Er musste sich mehr als dämlich anhören, bei dem, was er da von sich gab und was er eigentlich sagen wollte. Das Hotel, die Nacht, Anne, das alles brachte ihn aus dem Konzept. Bei jeder Sitzung, ob beim OBM, BKA oder im Familienkreis, bei jeder Pressekonferenz, geplant oder spontan, fand Miersch meistens die richtigen Worte. Seine Rhetorik war geschult und gefürchtet. Doch Anne gegenüber fühlte er sich unverständlicherweise gehemmt und sehr unsicher. Er blickte starr auf seinen Teller. Seine Gabel wollte die Wurstscheibe nicht halten. Er nahm das Marmeladenbrötchen und biss sich auf die Zunge.
    Anne schluckte und schaute auf einen Punkt an der Wand hinter Miersch. Auch ihr fiel es offensichtlich nicht leicht, Worte zu finden. »Nur damit Sie es wissen«, sagte sie schließlich, »es hat diesen Mord wirklich gegeben, von dem meine Mutter erzählt hat.«
    Miersch vergaß, weiterzukauen. Das Brötchen hielt er so schräg in der Hand, dass Rosels Heidelbeer-Kirsch-Marmelade über seine Finger tropfte. Haus der toten Augen nennen sie es, Haus der toten Augen … In Annes Gegenwart wollte er nicht an Verbrechen und Mord denken müssen. Aber selbst hierhin nach Machern Zu den alten Eichen folgte ihm die Arbeit. Vielleicht sah man ihm seinen Beruf an. Es konnte wohl kaum Zufall sein, dass diese Wirtin ihm von Mord und Totschlag erzählte. Aber es war Zufall, oder sie erzählte es jedem, vor dem Rosel geschwatzt hatte. Miersch kannte weder Rosel noch den Fall noch, wann er passiert sein sollte. Aber Anne konnte nicht

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