Augen für den Fuchs
wollen, Frau Kommissarin, Frank Stuchliks Bett ist noch nicht wieder belegt.«
13
Als Konstantin Miersch den Raum betrat, dachte er für einen Moment, er habe die falsche Tür geöffnet. Gestern noch hatte die Gaststube düster und traurig gewirkt, jetzt schien sie größer und wesentlich heller. Das Holz war nicht schwarz, es war hellbraun gebeizt. Durch die Fenster ergoss sich Tageslicht, das kein Staubkörnchen reflektierte. Die Tischdecken leuchteten weiß. Darauf standen bunte Blumensträuße, die aussahen, als seien sie im Garten gepflückt worden. Mehrere Tische waren eingedeckt, aber kein Gast saß daran. Leise Musik war zu hören. Keine Radiowelle mit zu gut gelauntem Moderator, sondern unaufdringlicher Jazz tönte aus den Boxen. Miersch glaubte, die Trompete von Till Brönner zu erkennen. Don’t You Worry ’Bout A Thing.
Er hatte wunderbar durchgeschlafen ohne Granufink oder Nachttopf. Es war früher Morgen, er hatte geduscht und die Haare gewaschen. Aufs Rasieren hatte er verzichtet, da er auf die Nacht im Hotelbett nicht vorbereitet gewesen war und weder Pinsel noch Klinge dabeihatte. Er wollte vorm Kaffee noch auf kurze Erkundung gehen, aber das Büfett hatte gerade geöffnet. Miersch war über sich selbst erstaunt. Um 6.15 Uhr drehte er sich daheim noch einmal auf die andere Seite. Doch jetzt fühlte er sich munter und frisch. Simona Thede, Margo und die laufenden Ermittlungen stressten ihn nicht mehr wie gestern. Sie lagen in weiter Ferne. Im Spiegel hatte er die Kratzwunde auf seiner rechten Wange besehen und den Grind mit warmem Wasser auf ein Minimum abgewaschen. Nur die Schwellung ums Auge würde blau anlaufen, da war sich Miersch sicher. Der Schlag von Simona Thede hatte gesessen. Den Kollegen würde er etwas von häuslicher Renovierung erzählen oder einen Scherz von der wilden Geliebten probieren, falls sie überhaupt nachfragen sollten. Sie würden ihm ohnehin nicht glauben und sich ihren eigenen Reim darauf basteln. Miersch sah es gelassen.
Der Service im Haus Zu den alten Eichen war auf Dienstreisende eingestellt. Das Frühstücksbüfett sah sehr lecker aus. Miersch nahm sich Brötchen und Butter und Ei, für den Belag ging er mit einem zweiten Teller zur Theke. Dort, wo gestern die Biergläser von Matze und ihm gestanden hatten, sah er die Auswahl. Die Wurst auf den Platten war mit System gelegt. Offensichtlich war er der erste Gast, er schämte sich fast, den appetitlichen Anblick zu zerstören. Aussehen und Geruch ließen auf Wurst aus Hausschlachtung schließen, zumindest war es nicht der Pamps aus Assietten, den die Hotels üblicherweise anboten. Miersch kannte sich aus, wegen seines Jobs war er oft auf Dienstreise. Sein angespanntes Zusammenleben mit Margo tat ein Übriges, so dass er oft seinen Morgenkaffee beim Bäcker ums Eck genoss.
Auch die angebotenen Marmeladen waren nicht aus dem Großhandel. Vielleicht kochte Anne die Konfitüren selbst ein. Die Schilder waren von Hand geschrieben, und einige Buchstaben waren ein Mischmasch aus Sütterlinschrift und der gegenwärtigen Schreibung. Mierschs Mutter und Oma hatten sich nie an die lateinischen Formen gewöhnt, seine Töchter mussten ihn um Übersetzungen bitten, wenn sie Großmutters Briefe erhielten. Heidelbeer-Kirsch, Apfelsine, Eberesche, Erdbeer las er und musste probieren.
»Kakao? Tee? Kaffee?« Eine junge Frau stand hinter der Theke. Wahrscheinlich erarbeitete sie sich hier das Geld für das Studium. Die blonden Haare waren zum schnellen Knoten gesteckt. Weiße Bluse. Auf ihrem Dekolleté glänzte ein Kettchen. Das Lächeln ließ in ihrer linken Wange ein Grübchen entstehen. Nicht nur deshalb fand Miersch sie sympathisch.
»Kaffee, schwarz, stark.«
»Kommt gleich.« Die Bedienung drehte sich um und verschwand in der Küche. Ihr Grübchen hinterließ eine Leerstelle hinter der Theke.
Miersch hatte noch immer ein Löffelchen Marmelade in seiner Hand. Er leckte es sauber und stellte fest, dass er den Vorlegelöffel benutzt hatte. Schamhaft wischte er ihn mit einer Serviette sauber und nahm Honig im Schälchen. Am Ende der Theke hingen die Zeitungen in einem Ständer. Miersch nahm sich eine. Zu Hause musste er erst drei Stockwerke zum Briefkasten nach unten ins Erdgeschoss laufen, und nicht nur ein Mal hatte einer die Zeitung geklaut, oder sie war erst gar nicht gekommen.
»Ihr Kaffee, bitte.« Die junge Frau schenkte ihm ein und lächelte. »Wenn Sie warm essen wollen, sagen Sie’s mir. Ich brate Ihnen auch
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