Augenblick der Ewigkeit - Roman
applaudierte, zunächst zögernd, doch dann mit immer größerer Begeisterung. » Bravo, bravissimo…«
Der Theaterdirektor, der die ganze Vorstellung neben ihm gesessen hatte, hielt noch immer das Kuvert mit der Regreßforderung in der Hand.
» Geben Sie schon her!« Der Hofrat nahm das Kuvert und zerriß es. Franziska fiel ihrem Vater um den Hals und gab ihm einen Kuß.
» Danke, Papa. Danke. War es so schlimm, was wir getan haben?«
Der Hofrat nahm den Kopf seiner Tochter in beide Hände. » Darum ging es nicht, mein Kind. Wenn ich dir nur begreiflich machen könnte– er sagt, er liebt dich, aber in Wirklichkeit nutzt er dich aus.«
» Nur weil er dich enttäuscht hat? Nein, ich weiß es besser, weil ich ihn liebe und will, daß er glücklich wird.«
Der Hofrat legte seine Arme um sie und drückt sie ganz fest an sich. » Ebendeshalb bin ich hier, um dich zu holen, meine kleine Prinzessin. Denn dieses Glück wünsche ich mir für dich.«
Die Mercedeslimousine wartete in der Einfahrt zum Bühneneingang. Der Theaterdirektor begleitete den Hofrat und Franziska zum Wagen. Melzer öffnete den Wagenschlag und half der weinenden Franziska einzusteigen, als vom Bühneneingang ein verzweifelter Schrei zu hören war.
» Franziska! Franziska…«
Als sie seine Stimme hörte, drehte sie sich um. » Karel…«
Auf ein Kopfnicken des Hofrats hin, ließ der Chauffeur Franziska noch einmal aussteigen. Karl kam ihr entgegen, und beide fielen sich in die Arme.
» Fränzchen, verlaß mich nicht!«
» Papa läßt mir keine andere Wahl.«
» Bleib, geh nicht…«
» …ich kann nicht!«
» Laß uns fortgehen von hier. Musik gibt es überall auf der Welt.«
» Mach es mir doch nicht noch schwerer, als es ist.«
» Dein Vater wird sich wieder beruhigen. Dann komme ich dich holen.«
Franziska machte sich los und wich zurück. » Ja, ja, Liebster.«
» Sobald die Saison hier zu Ende ist…«
» …ja, bald, mein Karel.«
Prasselnder Beifall drang aus dem Opernhaus. Die ersten Zuschauer verließen das Theater und ahnten nicht, welche Tragödie sich am Bühneneingang abspielte.
» Sie müssen zurück auf die Bühne!« Der Theaterdirektor versuchte Karl mit sich ins Theater zu ziehen.
Doch Karl stand wie erstarrt. Der Hofrat trat noch einmal zu ihm hin, bevor auch er einstieg. » Du bist, wie ich heute abend feststellen konnte, ein begnadeter Künstler, Karl. Und als solcher mußt du deinen Weg alleine gehen. Du wirst also meine Tochter in Zukunft in Ruhe lassen. Schließlich ist es kein kleiner Betrag, den du mir schuldest. Geh zurück auf die Bühne…« Er legte ihm die Hand auf die Schulter. » …hör nur, wie das Publikum rast. Das war zwar erst der Anfang, aber solche Momente wirst du nicht oft erleben.«
Der Chauffeur startete den Wagen. Franziskas verweintes Gesicht erschien an der Heckscheibe. Karl konnte ihre Lippen lesen, die sich stumm bewegten: Ich liebe dich.
Dann fuhr der Mercedes über den Krautmarkt davon, bis er sich in der Dunkelheit verlor.
Stockbridge –Donnerstag, 6 p.m.
In Stockbridge bog der blaue Pontiac Bonneville auf die Main Street ein und fuhr an weißen victorianischen Herrenhäusern vorbei, die inmitten gepflegter Rasenflächen unter schattenspendenden Eichen und Hickorybäumen standen, mit steilen Dächern, schiefergrau gedeckten Mansarden, Kuppeln und Türmchen. Das New-England-Städtchen aus der Kolonialzeit im Herzen der Berkshires machte nicht den Eindruck, vom Verfall bedroht zu sein, wie so viele andere amerikanische Provinznester. Alles wirkte hier adrett und aufgeräumt, wie auf jenen Norman-Rockwell-Titelbildern der Saturday Evening Post, die noch den American Way of Live der zwanziger Jahre beschworen. Die Main Street war voll von Touristen, und entlang der Hauptstraße verkauften die Souvenirläden alles, was mit Musik zu tun hatte– Schallplatten, Sängerposter, Autoaufkleber, die auf das sommerliche Festival in Tanglewood hinwiesen.
Franziska bog ab in eine Landstraße, die aus dem Ort wieder hinausführte, und hielt vor einem ehemaligen Farmhaus aus dem frühen neunzehnten Jahrhundert, mit grauen Schindeln und einer weißen Holzfassade, hohen Fenstern und einer breiten, das Haus umlaufenden offenen Veranda. Es stand ein wenig zurückgesetzt auf einem Hügel, umgeben von Apfelbäumen und einigen Azaleen, die schon seit längerer Zeit nicht mehr gewässert worden waren. Sie stieg aus und drückte Joachim die braune Packpapiertüte in den Arm. Sie hatten rasch noch
Weitere Kostenlose Bücher