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Augenblick der Ewigkeit - Roman

Titel: Augenblick der Ewigkeit - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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Händen hielt, hätte ich mir nicht träumen lassen, sie noch einmal wiederzusehen.«
    » Wann habt ihr euch zum letzen Mal gesehen?«
    » Wie ich schon sagte, Anfang der fünfziger Jahre, bei meiner ersten Amerikatournee.«
    » Da ist es doch zu ähnlichen Demonstrationen gekommen?«
    Herzog nickte. » Ich gäbe viel darum, sie noch einmal wiederzusehen. Aber man kann die Zeit nicht zurückdrehen. Und selbst wenn, würde ich mich nicht anders entschieden haben.«
    » Heißt das, du hast sie sitzenlassen?«
    » Du weißt, wie hart und kompromißlos man manchmal gegen sich selber sein muß, wenn es um die Kunst geht.«
    » Du meinst– wie skrupellos man sein kann, wenn es um die Karriere geht?«
    » Karriere– ach, was weißt du denn schon, was es heißt: Die Karten werden neu gemischt, und du darfst nicht mit am Spieltisch sitzen. Komm mir nicht mit Moral! Selbst Karajan sagte, als man ihm vorwarf, in die Partei eingetreten zu sein, nur um Generalmusikdirektor in Aachen zu werden, für den Job hätte er sich eine Hand abhacken lassen oder sogar einen Mord begangen!«
    » Karajan mit nur einer Hand!? Also, ich weiß nicht. Er war der gleiche Karrierist wie du.«
    » So was sagt sich leicht, wenn man nie auf der Straße gestanden hat, um sich jedem Dahergelaufenen anzubieten. Jeder mußte eben sehen, wie er durchkam.«

Berlin – im Juli 1932
    V or der Konzertagentur Mangold in der Potsdamer Straße trieben sich wie stets um diese Tageszeit ein paar Mädchen herum, die gegenüber, in der Pension Langemark, ihrem Gewerbe nachgingen. Für so manchen Künstler, der die Steintreppe ins Hochparterre zur Agentur hinaufstieg, war es ein Spießrutenlaufen. Herzog hingegen konnte sich über die Anmache der Mädchen, denen es kaum besser ging als ihm, nur amüsieren. Er fühlte sich mit ihnen solidarisch, seit er mit einer kleinen Rothaarigen die Küche und Toilette einer Absteige im Wedding teilte, die sie abwechselnd nutzten. Sie, wenn er tagsüber auf Arbeitssuche war oder in den Bibliotheken der Musikhochschule Partituren auswendig lernte, und er, wenn sie nachts ihrer Profession nachging.
    Sorgfältig hatte er sich im Spülbecken neben einer Kochplatte Gesicht und Hände gewaschen, sich mit der Nagelbürste die Haare gekämmt, seine Fingernägel kontrolliert, den Hemdkragen glattgestrichen und die Krawatte hochgezogen, bevor er wie jeden Morgen mit neuem Mut aufgebrochen war, um in der Konzertagentur Mangold sein Glück zu versuchen.
    Monatelang hatte er wie ein Vertreter unverkäuflicher Waren die Provinz abgeklappert, um in Städten wie Pforzheim, Erfurt, Hof oder Rostock zur Probe dirigieren zu dürfen– vergeblich. Als Dirigent und Orchesterchef war er zu jung, zu unerfahren, vor allem aber– zu unbekannt.
    » Sie sind bestimmt ein guter Kapellmeister, nach Ihren Empfehlungen zu urteilen…«
    » Bestimmt!«
    » …aber so ist das nun mal in unserem Gewerbe. Unbekannt zu sein, ohne Patronage und so talentiert wie Sie– da verletzt die geringste Absage jedesmal aufs Neue.« Der Konzertagent hatte recht. Nach jeder Bewerbung erstickte er schier an seiner Erfolglosigkeit, während er mit ansehen mußte, wie so mancher Minderbegabte ihm vorgezogen wurde und Karriere machte, weil er die richtigen Beziehungen hatte. Er aber hatte niemanden, der ihn förderte. Die Absagen und Zurückweisungen hatten sein künstlerisches Ego mit traumatischer Nachdrücklichkeit geprägt, und seine haßerfüllten Ressentiments richteten sich gegen jene verbeamteten Provinzintendanten und mediokren Kulturdezernenten, die seine Begabung ignorierten und sich anmaßten, über seine zukünftigen Geschicke richten zu dürfen, ohne Rechenschaft ablegen zu müssen.
    Er wäre gerne in Brünn geblieben. Aber trotz des großen Erfolgs seiner Zauberflöte konnte ihn der Theaterdirektor nach den Vorkommnissen bei der Premiere nicht halten. In Windeseile hatten Gerüchte die Runde gemacht, die besonders von der Claque des Kammersängers aufgegriffen und gestreut worden waren, er habe Urkunden gefälscht und Scheckbetrug begangen und würde in Österreich sogar von der Polizei gesucht. Eine Weile wehrte er sich noch gegen die Verleumdungen. Doch als er merkte, wie er sogar von manchem Mitglied seines Orchesters geschnitten wurde, gab er auf und kündigte. Der Theaterdirektor stellte ihm zum Abschied zwar ein einwandfreies Leumundszeugnis aus, und die lokale Presse begleitete seine Demission mit guten Wünschen » für neue Aufgaben, die seinem Talent und

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