Augenblick der Ewigkeit - Roman
im Silver Store Milch, Brot, Speck und Eier für das Frühstück eingekauft.
In der Diele lagen Zeitungen, Briefe und Reklame der letzten Zeit, die durch den offenen Briefkasten gefallen waren. Sie sammelte sie vom Boden auf, während sie den Anrufbeantworter laufen ließ: Der Gärtner kündigte sich für Freitagnachmittag zum Rasenmähen an, das Illinois Institute of Technology in Chicago bat um einen Rückruf wegen der Mies-van-der-Rohe-Retro im Herbst, und die Zwillinge erinnerten noch einmal an die Dinnereinladung um acht Uht abends.
» Stellen Sie die Sachen auf die Anrichte in der Küche. Der Weißwein steht im Kühlschrank. Ich glaube, jetzt haben wir uns erst einmal einen Drink verdient.«
Sie nahm zwei Gläser vom Dresser im Eßzimmer, zog die Vorhänge beiseite und öffnete die Flügeltür zur Veranda. Als Joachim mit der Weinflasche kam, saß sie wie ein Westernsheriff in einem Schaukelstuhl, stieß sich abwechselnd mit dem rechten und dem linken Fuß von einem Pfosten des Geländers ab und streckte ihm ihr leeres Glas entgegen. » Wenn Sie die Sechs-Uhr-Nachrichten sehen wollen, der Fernseher steht im Wohnzimmer.«
Joachim schaute auf die Uhr. » Noch ist es nicht soweit.«
Er setzte sich auf die Holzstufen, die hinunter in den Garten führten, trank einen Schluck Wein und hing seinen Gedanken nach. Schließlich faßte er sich ein Herz. » Was ich Sie noch fragen wollte, Franziska, hat mein Vater Wort gehalten?« Er nippte an seinem Glas. » Ich meine, kam er denn, Sie zu holen?«
» Nicht so, mein Lieber, so haben wir nicht gewettet. Vielleicht reden wir zur Abwechslung mal von Ihnen?«
Er schluckte. » Warum über mich?«
» Weil ich bisher von Ihnen so gut wie gar nichts weiß, außer, daß Ihr Vater nichts von Ihrem Klavierspiel hielt und Sie sich seit fünfzehn Jahren vor ihm in New York verstecken.«
Sie wartete gespannt. Er ließ sich Zeit, nippte erneut an seinem Glas und dachte nach. Wie geschickt hatte sie ihm seine vorwitzige Neugier heimgezahlt. Nur, was konnte er ihr schon erzählen? Wie es dazu gekommen war, daß er auf ihrer Veranda saß, neben Franziska Wertheimer, der großen, vielleicht sogar tragischen Liebe seines Vaters, um herauszufinden, welch ein Karrierist der in Wirklichkeit gewesen war?
» Also, warum sind Sie von zu Hause fortgelaufen?«
» Weil ich Idiot den Telefonhörer abgenommen habe.«
» Welchen Telefonhörer?«
» Als es regnete!«
Er stockte, selbst verblüfft über seine Antwort. So einfach sollte das gewesen sein? Weil er den Telefonhörer abgenommen hatte? Darüber hatte er nie nachgedacht, wie er es überhaupt vermied, darüber nachzudenken, was in jener Nacht geschehen war. Jemand mußte vergessen haben, im Haupthaus den Anrufbeantworter einzuschalten. Eine Zeitlang hatte er das Telefon klingeln lassen. Keiner konnte wissen, daß er sich in den Strandbungalow zurückgezogen hatte, um zu komponieren. Ein Unwetter ging über dem Golf von Saint-Tropez nieder, so stark, daß die Regenrinnen das Wasser nicht mehr ableiten konnten und es sich in Kaskaden über die Terrasse ergoß.
Was, wenn er damals den Telefonhörer nicht abgenommen hätte, als seine Mutter ihn gebeten hatte, sie in der Cocktailbar des Hotel Sube abzuholen, und sie ein Taxi hätte nehmen müssen, um nach Hause zu kommen?
» Als es regnete?« Sie streckte ihm ihr leeres Glas entgegen, und er schenkte nach.
» Meine Mutter hatte angerufen und mich gebeten, sie abzuholen. Sie war unten am Alten Hafen von einem Wolkenbruch überrascht worden. Ich arbeitete an einer neuen Komposition, als das Telefon klingelte.«
Was danach geschah, hatte er bis auf ein paar Erinnerungsfetzen verdrängt, die ihn zuweilen bis in seine Träume hinein verfolgten.Im Scheinwerferlicht eines heranrasenden Autos stand ein nackter Mann. Er hielt ein Handtuch in seiner Hand. Er hatte die Arme wie zur Abwehr ausgestreckt. Sein Kopf prallte gegen die Windschutzscheibe…
Franziska sah ihn von der Seite an, ein senkrechtes Faltenpaar über der Nasenwurzel wie zwei Ausrufezeichen. » Na schön. Das Telefon klingelte, es regnete! Und dann?«
» Sagte ich doch schon. Hätte ich nur den verdammten Hörer nicht abgenommen…« Er hätte ihn nicht abnehmen müssen. Es war wie ein Reflex, eine Bedingung, die nicht hinweggedacht werden konnte, ohne daß der Erfolg entfiele. Wenn es schon schlimm genug war, unbewußt das Falsche getan zu haben, schlimmer war es, nachträglich das Abnehmen des Telefonhörers für die
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