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Augenblick der Ewigkeit - Roman

Titel: Augenblick der Ewigkeit - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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Musikertum gebührten«. Doch solche Referenzen galten außerhalb der Brünner Provinz so gut wie nichts, hatten ihm aber wenigstens die Tür zur Berliner Konzertagentur Erich Mangold geöffnet.
    Die Konzertagentur Mangold veranstaltete im reichen Berliner Konzertleben jener Jahre, nebst ihrer großen Konkurrentin, Wolff & Sachs, zahlreiche Konzertreihen, betreute Künstler ersten Ranges, vermittelte symphonische Orchester ebenso wie Streichquartette, bekannte Dirigenten, gefeierte Liedersänger und internationale Opernstars. Damals galt Berlin als die Welthauptstadt der Pultheroen. Während in der Linden-Oper Erich Kleiber, in der Kroll-Oper Otto Klemperer, in der Städtischen Oper Bruno Walter und Fritz Busch dirigierten, glänzte Wilhelm Furtwängler mit seinen Berliner Philharmonikern, einer Orchester-GmbH, die mit abwechselnden Dirigenten konzertierte, aber erst unter dem » Herrn Doktor«, wie er sich gerne anreden ließ, zur absoluten Weltspitze aufgestiegen war.
    Das Musikleben jener Tage war geprägt von Kurt Weill, Arnold Schönberg, Richard Strauss, Paul Hindemith. Tausende sangen in den verschiedenen Berliner Chören und Gesangsvereinen, zahlreiche Musikzeitschriften für Laien und Fachleute erschienen. Im ehemaligen Circus Schumann, dem späteren Friedrichstadtpalast, rissen die Comedian Harmonists und der Jazz- und Swingkönig Paul Whiteman das Publikum von den Plätzen. Es war die Zeit der Weltpremieren der Opern Wozzek von Alban Berg in der Berliner Staatsoper, der Dreigroschenoper von Brecht und Weill im Theater am Schiffbauerdamm und Lehárs Land des Lächelns im Metropoltheater.
    In diesem musikalischen Dorado mußte doch auch ein Platz für ihn zu finden sein. Herzog stieg die Treppe hoch. Im Hochparterre führte ein Läufer in eine fensterlose Wartehalle mit wandhohen Barockspiegeln, die früher einmal als Tanzstudio gedient haben mochte. Von einer Stuckdecke hingen Kronleuchter mit schwachen Klarsichtbirnen, und an den Wänden saßen unter gerahmten Starporträts arbeitslose Künstler und warteten auf jeden sich bietenden Gelegenheitsjob. Sie lasen Zeitung, spielten Schach, einige schliefen, und der Rest starrte durch das offene Entree hinaus auf die Straße, wo die Mädchen vor der Freitreppe wie an einer Haltestelle herumlungerten, bis sie von einem Freier angesprochen wurden und mit ihm in der Pension Langemark verschwanden.
    Herzog mischte sich unter die Wartenden, holte die Noten aus der Aktentasche und vertiefte sich in seine Partitur. In dem hallenartigen Raum herrschte Stille wie in einer Kirche oder Bibliothek. Es wurde nur geflüstert oder mit Zeitungspapier geraschelt, und hin und wieder erhob sich einer der Wartenden, lautlos wie ein Vogel, der seinen Schwarm verläßt, sich in die Luft schwingt, nur um sich an einer anderen Stelle wieder niederzulassen.
    Nach einiger Zeit wurde die Pendeltür aufgestoßen und der » Arbeitsmarkt« eröffnet. Ein blonder Jüngling mit einem Klemmbrett in der Hand verlas die Tagesangebote. Er ließ sich Zeit dabei und schaute durch seine kreisrunde Schildpattbrille herab auf jene, die nicht zum Zug gekommen waren. Er war kaum neunzehn Jahre alt, ein Schnösel, der in seinen maßgeschneiderten Knickerbockern aus marineblauem Tuch aussah wie ein Konfirmand. Auf seiner Oberlippe sproß ein zarter Bartflaum, den er noch nicht rasieren mußte. Die blonden Haare hatte er mit Pomade eingerieben und mit einem scharfen Mittelscheitel so gekämmt, daß ihm auf beiden Seiten Strähnen in die Stirn fielen. Im Knopfloch seines Jacketts steckte eine weiße Nelke, wie bei manchen der berühmten Gesangs- und Opernstars auf den gerahmten Fotos an den Wänden, und aus seiner Brusttasche hing ein buntes Fazinettl von gleichem Design wie seine Fliege.
    Als er Herzog entdeckte, verzog sich sein Mund, und sein stechender Blick bekam etwas Anzügliches, wie bei gewissen Freiern auf der Straße, wenn sie die Mädchen taxierten. » Mit Ihnen, Herr Herzog, möchte der Chef selbst ein wenig plaudern.« Er schürzte seine Lippen auf fischige Weise und zwinkerte Herzog zu, ihm zu folgen. Vor der gepolsterten Tür zum » Allerheiligsten« bat er ihn zu warten.
    Aus dem Inneren drangen noch Klavierspiel und die Gesangsstimme einer Frau, die mitten in ihrem Liedvortrag abbrach. Dann war ein erregtes Stimmengewirr zu vernehmen und nach einer Pause die berlinernde Stimme des Impresarios. » Wenn ich Ihnen einen Rat mit auf den Weg geben darf, Kindchen …« Die Tür wurde aufgerissen,

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