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Augenblick der Ewigkeit - Roman

Titel: Augenblick der Ewigkeit - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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anderen.
    Franziska sah, wie Lisbeth sich bemühte, Contenance zu wahren, auch um die Zwillinge nicht zu beunruhigen. Aber ihre Hände zitterten, als sie den Theaterzettel vor sich auf die Brüstung legte. Mit rotem Kopf und hochgerecktem Kinn nahm sie neben Karl und Franziska Platz und flüsterte wie ein Tipgeber hinter vorgehaltener Hand. » Daß es so schlimm werden würde, habe ich nicht geahnt. Karl, Sie müssen meinen Mann davon abhalten, die Vorstellung zu dirigieren. Auf mich hat er nicht hören wollen.«
    Karl sprang auf, und als Franziska ihm folgen wollte, bat er sie, bei Lisbeth und den Kindern zu bleiben. Die Zwillinge saßen eingeschüchtert auf ihren Stühlen und blickten ängstlich zu den Erwachsenen hoch. Sie begriffen nicht, was vor sich ging, ahnten aber, daß es etwas mit ihrem Vater zu tun haben mußte.
    Kurz darauf betraten die Musiker der Staatskapelle den Orchestergraben. Auch sie duckten sich vor der feindlichen Atmosphäre im Saal und nahmen schweigend ihre Plätze ein. Danach wurde die Geräuschkulisse im Parkett und auf den Rängen wieder lauter, was den Konzertmeister ermutigte, die Instrumente stimmen zu lassen. Franziska schaute auf die Uhr. Die Vorstellung hätte schon längst beginnen sollen.
    Da brandete plötzlich Beifall auf. Ein Teil des Publikums im Parkett erhob sich und applaudierte zur Königsloge hinauf, wo der neue Ministerpräsident und Reichskommissar von Sachsen, der dicke SA-Obergruppenführer Manfred von Killinger in Begleitung seiner Gattin und einer Eskorte von SS-Leuten eingetroffen war. Er stand an der Brüstung, die linke Hand am Koppelriemen, der wie ein Faßreif seinen mächtigen Leib zusammenhielt, den rechten Arm mit flacher Hand gestreckt, während er die Huldigungen seiner Parteigenossen, ihre » Heil«- und » Sieg-Heil«-Rufe entgegennahm.
    Franziskas Herz krampfte. Mit dem Auftritt des Ministerpräsidenten hatte die Krawallbereitschaft im Parkett und auf den Rängen zusätzlich etwas Bedrohliches bekommen, war sie doch nun von offizieller Seite abgesegnet. Sie hatten die Glacéhandschuhe ausgezogen, um mit Terror und Einschüchterungen das öffentliche Leben in einem atemberaubenden Tempo gleichzuschalten. Der Tanz konnte also beginnen. Alle warteten nur noch auf den Dirigenten.
    Draußen im Vestibül hörte Franziska laute Stimmen. Sie stand auf und öffnete die Tür. Ein blonder, jungenhafter Mann in einem tadellosen Frack mit seidigen Revers, in weißer Weste und mit einer ebenso weißen Schleife redete mit eindringlichen Gesten und kehliger Stimme auf Karl ein. » Wenn Sie die Vorstellung nicht übernehmen, Herzog, dann macht es eben ein anderer. Aber dann brauchen Sie sich keine Hoffnungen mehr zu machen…« Er unterbrach sich, als er Franziska in der Tür bemerkte. » Ich hoffe, Sie haben mich verstanden!«
    Karl verbeugte sich und wandte sich Franziska zu. » Darf ich dir meinen Agenten vorstellen– Harry Krausnik, Franziska Wertheimer, meine, meine…«
    Er machte eine kleine Pause, die Franziska sogleich nutzte, um ihm beizuspringen. » …seine Schwester! Wissen Sie, als Kinder wuchsen wir wie Geschwister auf.«
    Der Agent nahm ihre Hand und beugte sich zu einem formvollendeten Handkuß darüber, ohne den Blick von ihr zu lassen. » So, die Schwester…«
    Spöttisch sah er Franziska geradewegs in die Augen. Sein Blick hatte etwas Anzügliches, und die Art, wie er auf ihre nackten Schultern starrte, löste Widerwillen in ihr aus. » Sie erlauben doch, Fräulein Wertheimer, daß wir Ihnen Ihren– Bruder oder besser, Ihren Verlobten, für einige Zeit entführen.«
    Er kam nicht weiter, denn aus dem Untergeschoß drang ein Gebrüll, das durch das ganze Treppenhaus hallte. » Mein Gott, was geht hier vor?« Eilig zog Franziska die Hand zurück. Fast wäre ihr Handschuh in der Hand des Agenten zurückgeblieben. Gleich darauf war die zornige Stimme des GMD zu hören. » Was erlauben Sie sich, Sie– Gaukulturwart. Das Horst-Wessel-Lied steht nicht auf meinem Programm! Auf meinem Spielplan steht › Der Freischütz‹ und der ist von Carl Maria von Weber. Also gehen Sie mir gefälligst aus dem Weg, Sie Possenreißer!«
    Als Gottwalt den Orchestergraben betrat, herrschte Totenstille im Saal. Er schnaubte und zog sich die weiße Frackweste zurecht. Ohne ins Publikum zu blicken, ging er durch die Orchesterreihen vor zum Podium. Dort wurde er mit dünnem Applaus empfangen, der sogleich von den Parteigenossen niedergezischt wurde. Sie waren sich ihrer

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