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Augenblick der Ewigkeit - Roman

Titel: Augenblick der Ewigkeit - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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schon seit Tagen vor dem Gebäude angeschwollen war, ergoß sich über den ganzen Bürgersteig bis auf die regennasse Fahrbahn.
    Er fürchtete, all die trunkenen, »Heil!« rufenden Menschen auf der Straße könnten vielleicht bemerken, daß er, statt mitzujubeln, sein Heil in der Flucht vor ihrem » Messias« suchte, und fühlte sich wie ein Stück Korken, das auf der Wasseroberfläche hüpfte. So gut es ging, wich er den Leuten aus und starrte stur aufs nasse Kopfsteinpflaster, in dem sich mit der einbrechenden Dunkelheit die Straßenlaternen spiegelten. Flugzettel der abgesagten Volksbefragung mit der Parole » Rot-weiß-rot bis in den Tod« flogen ihm entgegen. Er bemühte sich, nicht ängstlich dreinzuschauen, sondern lässig und unbeteiligt den Fahrdamm zu überqueren. Doch jede Berührung mit den jubelnden Menschen steigerte seine Beklommenheit, gerade weil sie nichts von seinem Geheimnis wußten.
    Die Hand in seiner Manteltasche umklammerte einen Zettel, den Karl ihm nach der Probe mit seiner Zimmer- und Telefonnummer zugesteckt hatte, unter der er im Hotel Imperial zu erreichen war. Für alle Fälle, sagte er, falls er oder Franziska seine Hilfe brauchten. An der Eindringlichkeit seiner Stimme und der Art, wie er seine Hand gedrückt hatte, hatte er gespürte, daß das nicht so dahingesagt war, daß Karl tatsächlich um ihrer beider Leben fürchtete.
    In der ganzen Spielzeit war Karl ihm, außer auf den Proben, aus dem Weg gegangen. Nur einmal, ganz am Anfang, als er ihm Gudrun, seine schöne junge Verlobte, vorgestellt hatte, die den weiblichen Titelpart der Oper sang, hatte er sich nach Franziska erkundigt und kommentarlos zur Kenntnis genommen, daß sie sich verlobt hatten und Steinberg zu ihr in die Wertheim-Villa nach Döbling gezogen war. Danach hatte er Franziskas Namen nicht mehr erwähnt, so wie auch Franziska ihn nicht nach Karl und dem Fortgang der Probenarbeiten zu Dalibor gefragt hatte.
    Beide kamen ihm vor wie ein Paar, das sich nach der Scheidung aus dem Weg ging, um nicht die alten Wunden aufzureißen. Gelegentlich spürte er Franziskas Neugier, obwohl sie tat, als interessierte sie das alles nicht. Als er einige Standfotos mit nach Hause brachte und sie auf seinem Schreibtisch liegen ließ, sah er, wie sie Gudruns Foto vorsichtig aus dem Stapel zog und ihr Konterfei lange und nachdenklich betrachtete. Bis vor einigen Tagen hatte er noch geglaubt, er könne sie und Herzog einander wieder näher bringen, um ihren alten Freundschaftsbund zu retten. Aber nach dem Hexensabbat um das Opernhaus herum, mit dem » Sieg Heil!« und » Juda verrecke!«, machte er sich keine Illusion mehr.
    Der Taxistand am Opernring war verwaist. Die meisten Droschken paradierten, geschmückt mit Hakenkreuzfahnen, die Ringstraßen hinauf und hinunter. Auf der gegenüberliegenden Seite des Fahrdamms sah er, wie ein alter Mann mit einem rot-weiß-roten Flugblatt in der Hand zusammengeschlagen wurde. Sein dunkelgrauer Homburger rollte übers Trottoir. Dann ging der alte Mann zu Boden. Er fiel nicht mit einem Schlag, sondern ging ganz langsam in die Knie. Erst auf das eine, dann auf das andere. Er stützte sich mit beiden Händen ab, bis einer der Schläger ihm einen Tritt in den Bauch versetzte und er vornüberfiel.
    Steinberg wollte aufschreien, aber aus seinem Mund kam nur ein Stöhnen. Der Blick einer Passantin alarmierte ihn, daß hinter seinem Rücken etwas passierte. Er schaute zurück und wußte sofort, daß es ein Fehler war. Sein flüchtiger Blick hatte sich in das sture Starren jenes schnurrbärtigen Mannes verfangen, der ihm gefolgt war und mit dem Postkartenfoto Zeichen machte, stehen zu bleiben. Er geriet in Panik, glaubte die Augen aller auf sich zu ziehen und daß die Passanten eine Gasse bildeten, um ihm wie einem gehetzten Delinquenten auszuweichen. Er wußte nicht, wer als erster den Schritt beschleunigte, aber er merkte, daß er jetzt sehr viel schneller lief. Er wechselte abermals die Straßenseite hinüber zu den Trambahnhaltestellen.
    Vom Schwarzenbergplatz rollte ein Fackelzug wie eine Feuerwalze auf den Kärntner Ring. Aktivisten, ein aufgestöberter Hornissenschwarm, rannten mit Hakenkreuzfahnen vorneweg. Die Trambahnen kamen nur im Schrittempo an dem vieltausendköpfigen Demonstrationszug vorbei. Steinberg zog den Kopf ein und fing an zu laufen, als könnte sich jeden Augenblick die Hand des Mannes auf seine Schulter legen oder ein Auto der Geheimpolizei neben ihm anhalten, um ihn mitzunehmen.

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