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Augenblick der Ewigkeit - Roman

Titel: Augenblick der Ewigkeit - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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Juden durften die antisemitischen Schmierereien auf Gehsteigen und an Häuserwänden mit ihren Zahnbürsten reinigen und dabei » Juda verrecke!« schreien.
    Franziska kam mit beunruhigenden Nachrichten vom Westbahnhof zurück. Die Bahnhofshalle sei zwar schwarz vor Menschen, trotzdem herrsche Totenstille. Nur Kommandos der Gestapo seien gelegentlich zu hören, die das Handgepäck der Ausreisewilligen nach Schmuck und Devisen durchsuchten. Leibesvisitationen würden durchgeführt, und wer sich nicht ausweisen könne, werde verhaftet.
    » Es gehen Gerüchte, an der tschechischen Grenze würden alle Juden, die keinen Taufschein zeigen können, zurückgeschickt. Es ist also sinnlos, nach Prag oder Preßburg zu fahren. Melzer bringt uns mit dem Wagen nach Donnerskirchen. In der Nacht können wir die ungarische Grenze passieren, die weniger streng bewacht wird. Ich kenne die Gegend von Fahrradtouren her. Der Grenzübergang bei Mörbisch war nachts so gut wie nie besetzt. Eine Hakenkreuzfahne habe ich schon besorgt. Es ist zur Zeit viel zu gefährlich, in der Stadt mit einem Auto ohne Swastika herumzufahren.«
    Solange sie das Nötigste zusammenpackte, fuhr Steinberg mit der Trambahn ein letztes Mal in die Staatsoper, um seine Papiere bei der Personalverwaltung abzuholen. Als er das Opernhaus betrat, versperrten ihm zwei Männer mit Ledermänteln den Weg. Er mußte sich ausweisen und wurde just in dem Moment verhaftet, als Gustav Mahlers Büste aus dem Foyer der Wiener Staatsoper getragen wurde.
    In der Nacht vom Sonntag auf Montag stürmten Föhnwinde über die schneebedeckten Gipfel der Gutensteiner Alpen. Wolkenfetzen, die die ganze Nacht über ostwärts trieben, knipsten in rascher Folge das Mondlicht über dem Leithagebirge an und aus, so daß es auf der Start- und Landebahn des Sportflughafens in kurzen Abständen hell und dunkel wurde. Wie eine aufgescheuchte Horde fegten sie über den Nachthimmel, veränderten ihre Schattenrisse und wurden in seiner Todesangst zu Fratzen, Untieren und wirbelnden Fabelwesen. Schon seit einer Stunde saß Steinberg geduckt im vorderen Cockpit des Doppeldeckers, einer gebrauchten U12 Flamingo, die sich Herzog vor einigen Jahren mit dem » Dollarerbe« des Hofrats gekauft hatte. Steinberg war vermummt bis zur Unkenntlichkeit, mit einer ledernen Fliegerhaube auf dem Kopf, einer dickrandigen Windschutzbrille vor den Augen und einem Wollschal um Mund und Ohren, so daß man weder sein zusammengeschlagenes Gesicht noch die Wunden am Kopf und das geschwollene Auge sehen konnte.
    Die Gestapo hatte ihn nach seiner Verhaftung am Samstagmorgen ins Hotel Metropol am Morzinplatz geschleppt, dem Sitz der Gestapo-Leitstelle Wien, und ihn durch einen Hintereingang in der Salztorgasse sogleich zur » Behandlung« in den Keller geschafft, der als Gefängnis und Folterkammer diente. An einem Tisch wurden seine Personalien festgestellt und ihm der Grund seiner Verhaftung eröffnet: Er sei von Kollegen vernadert worden, den Führer beleidigt und das Hoheitszeichen des Deutschen Reichs geschmäht und lächerlich gemacht zu haben. Erst mußte er stundenlang mit dem Gesicht zur Wand in Kniebeuge stehen, und immer wenn die Beine nachgaben, bekam er einen Tritt. Danach wurde er in die Waschküche des ehemaligen Grandhotels gestoßen, wo ihn zwei SA-Schläger mit zaunpfahldicken Knüppeln erwarteten, um bei »seiner Behandlung« mit Schlägen ein » wenig nachzuhelfen«. Der eine schlug ihm gleich die Faust ins Gesicht, daß er aufschrie vor Schmerz.
    » Reiß di zam, Saujud, oder wüst no an Tschuck aufs Guck?« Dann hob er drohend seinen Knüppel, holte aus, berührte ihn nur leicht an seiner Schulter, während der andere ihm ins Ohr zischte: » Jetzt plärr, so laut du kannst.«
    Solange er schrie, daß es sich draußen anhörte, als würde er von ihnen zusammengeschlagen, ließen sie ihn in Ruhe, krümmten sich statt dessen vor Lachen über seine jammervolle Darbietung. Doch als er aufhörte, schlugen sie zu, bis er blutüberströmt zusammenbrach. Keine Ahnung, wie Herzog herausfand, daß man ihn verhaftet hatte und wo er sich befand. Aber schon am nächsten Morgen hatte er interveniert und erreicht, daß man Steinberg vorerst laufenließ, mit der Auflage, sich regelmäßig bei den Polizeibehörden zu melden. Seinen Pass zog man vorsichtshalber ein, damit er nicht das Land verlassen konnte.
    Herzog fuhr mit ihm nach Döbling in die Wertheim-Villa, um die Wunden notdürftig zu versorgen und etwas frische

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