Augenblick der Ewigkeit - Roman
Das Keuchen seines Verfolgers kam näher. Seine Stiefel knallten auf das Pflaster. » Sie, Herr Kammersänger…«
Steinberg wunderte sich noch, wie sachte der Mann seine Schulter berührte.
» …so warten’s doch einen Augenblick. Meine Frau ist eine große Verehrerin von Ihnen und hat sich zu ihrem Geburtstag ein Autogramm gewünscht.«
Dann blieb er stehen. Er ärgerte sich über seine paranoide Reaktion und wollte weg, bevor das Triumphgeschrei des Fackelzugs ihn einholte. In aller Eile kritzelte er seinen Namen auf das Autogrammfoto, das ihn in Es liegt dein Schicksal in den Sternen als einsamen Musikclown in einer Zirkusmanege zeigte. Die Premiere seines letzten Films lag einige Zeit zurück, weil die Tobis-Sascha-Film den Arierparagraphen im vorauseilendem Gehorsam schon dreiunddreißig eingeführt hatte. Aber dieser und die anderen Revuefilme, wie Süß wie Salzburger Nockerln und Im Paradies der schönen Frauen, die ihn zum Filmstar gemacht hatten, liefen so beständig in den Wiener Vorstadtkinos, daß er immer wieder auf den Straßen und in den Cafés um ein Autogramm gebeten wurde.
» Schreiben’s: › Für meine Anne Marie‹. Anne Marie in zwei Worten– ja so’s recht– und Anne mit doppeltem N.«
» Keine Ursache, der Herr. Und grüßen Sie Ihre Frau von mir.«
Steinberg zog den Hut mit einer kleinen Verbeugung und gab dem Mann die Autogrammkarte zurück, der sie sorgsam wie einen großen Geldschein in seine Brieftasche legte.
» Da kommt schon meine Straßenbahn.« Er sprang auf den hinteren Perron der Trambahnlinie D, Richtung Döbling. Die Tram fuhr an.
» G’schamsta Dina! Hawe d’Ehre…« Der schnurrbärtige Mann rannte mit schweren Stiefelschritten noch eine Weile neben der Straßenbahn her, lachte wie ein beglücktes Kind und winkte mit seiner Melone. Dann blieb er stehen. Steinberg sah ihn immer kleiner werden, beide Hände auf die Knie gestützt, bis ihn die Front der Fackelträger verschluckt hatte.
Er fand Franziska aufgelöst im Arbeitszimmer ihres Vaters. Ein Feuer loderte im Kamin, in dem sie ihre Briefe und persönlichen Dokumente verbrannte. Als er eintrat, fiel sie ihm weinend, aber auch erleichtert um den Hals. Sie hatte im Radio die Abschiedsrede des Bundeskanzlers gehört, die mit den Worten schloß: » Gott schütze Österreich!« Danach erklang das Poco adagio aus dem Kaiserquartett von Josef Haydn, das kurz darauf abbrach. Das Horst-Wessel-Lied ertönte.
Mutlos sank er in einen Sessel. » Die Menschen in der Stadt sind alle narrisch. Wildfremde fallen sich in die Arme. Und vor dem Hitler-Bild in der Kärntner Straße sieht’s aus wie auf einer Beerdigung. Man hat das Gefühl, der Herr Reichskanzler sei bereits verstorben. Dabei steht er quicklebendig vor der Tür und hat den Schuschnigg gleich nach seiner Rede verhaften lassen. Sofort sind Hunderttausende mit Fackeln über den Ring gezogen, daß die Trambahn kaum noch durchgekommen ist. Ich frag mich nur, woher die so schnell all die Fackeln hatten?«
Sie setzte sich zu ihm auf die Lehne und fuhr ihm mit der Hand über das kurzgeschorene Haar. » Yossele, es ist Zeit, daß wir die Koffer packen.«
» Wir müssen nur sehr vorsichtig sein, Franziska. Ich habe heute, zu allem hin, noch eine Riesendummheit gemacht.«
» Was ist passiert?«
» Auf der Orchesterprobe. Karl dirigierte den ersten Akt. Da kam die Kirchhoff, das Eheweib von diesem aufgeblasenen Nazi Josef von Werda, die das Bauernmädchen singt, auf die Bühne. Und stell dir vor – sie trug auf dem rechten Handrücken ein überdimensionales goldenes Hakenkreuz, gehalten von mehreren Kettchen, die sie an einem Armband und mit Ringen auf dem Daumen und dem kleinen Finger befestigt hatte. Wir alle standen um sie herum und bestaunten das schaurig-schöne Schmuckstück, das sie, wie sie sagte, › aus gegebenem Anlaß‹ angelegt habe. Einer fragte sie nach der Bedeutung. › Oh, es bedeckt die Stelle, auf die der Führer mich in Bayreuth geküßt hat.‹ Sie wurde ganz rot im Gesicht, und ich konnte es mir einfach nicht verkneifen und sagte: › Schade, gnädige Frau, daß er Sie nicht auf den Mund geküßt hat!‹«
Franziska, die mit Tränen in den Augen bei ihm saß, stutzte. Dann brach sie in schallendes Gelächter aus, daß ihr erneut die Tränen in die Augen schossen. » Wirklich saukomisch, wenn das alles nicht so zum Heulen wäre.«
Am nächsten Morgen marschierte Hitler in seine Heimat ein. Im ganzen Land läuteten dazu die Glocken, und die
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