Augenblick der Ewigkeit - Roman
ein übler Antisemit. Haben sich die großen Renaissancekünstler mitschuldig gemacht an den Verbrechen der Inquisition, nur weil sie für den Klerus tätig waren? Nebbich. Moral macht dumm, sagt Nietzsche. Moralische Entrüstung ist oft nichts als Eifersucht mit einem Heiligenschein. Für mich ist Karl Amadeus Herzog nicht danach zu beurteilen, welcher Partei er angehörte, sondern zu welchen Opfern er bereit war, ohne an sich oder irgendeine Gegenleistung zu denken.«
Wien – März 1938
Er hatte sich provozieren lassen, hatte eine Riesendummheit begangen, als er die Sängerin der Jitka einer Pointe wegen auf der Orchesterprobe vor allen Kollegen bloßgestellt hatte. Der Witz seiner Bemerkung hatte einen so durchschlagenden Erfolg gehabt, daß Elly Kirchhoff unter dem schallenden Gelächter der Kollegen heulend von der Bühne lief und nach kurzer Zeit mit ihrem schwergewichtigen Gatten Josef von Werda zurückkam, der sich vor Steinberg aufbaute und ihn anschrie: » Dir wird das Lachen noch vergehen! Jüdischer Schmähtandler, jüdischer!«
Der aufgeblähte Sänger, ein in Galizien geborener Bassist von österreichischem Adel, war Parteigenosse der ersten Stunde, von dem alle wußten, daß er ein glühender Verehrer Hitlers war, an den er in überschwenglicher, fast devoter Zuneigung Huldigungsadressen und Denkschriften richtete, weil er sich Hoffnung machte, nach dem Anschluß an der Wiener Staatsoper eine der heißumkämpften leitenden Stellungen zu ergattern.
Nur mit größter Überredungskunst gelang es Herzog, den aufgebrachten Kammersänger zu beruhigen, um die Orchesterprobe zu Dalibor fortsetzen zu können. Steinberg griff sich an den Kopf. Wie konnte er nur so leichtsinnig sein, in dieser angespannten Zeit die Frau eines einflußreichen Nazis zu beleidigen. Mit einem guten Witz hatte er sich ihn zum unversöhnlichen Feind gemacht, nicht weil er Jude war, sondern weil er sich über ihn als Nazi lustig gemacht hatte. Und Nazis hatten nun mal keinen Humor, vor allem, wenn der Jude die Lacher auf seiner Seite hatte. Am Vorabend der Heimkehr von Hitlers Heimat in das Deutsche Reich hatte er damit nicht nur sich, sondern auch Franziska unnötig in Gefahr gebracht.
Nach den beunruhigenden Nachrichten aus dem Radio war mit dem Allerschlimmsten zu rechnen. Der österreichische Bundeskanzler Schuschnigg war am Nachmittag zurückgetreten. Er hatte die Volksbefragung, ob das Land ein » freies und deutsches, unabhängiges und soziales, ein christliches und einiges Österreich bleiben wollte«, abgesagt und auf jeden militärischen Widerstand verzichtet, um ein » Blutvergießen zwischen Deutschen zu verhüten«. Damit war der Vorhang hochgezogen worden, hinter dem der Anschluß Österreichs von den Nazis in aller Heimlichkeit geplant und vorbereitet worden war.
Schwarze Listen wurden aufgestellt, und allerlei Gerüchte schwirrten durch das Opernhaus. Anstelle der Premiere von Dalibor sollte zur Feier von Hitlers Einmarsch in Wien Beethovens Fidelio unter Knappertsbusch aufgeführt werden. Keiner wußte Genaueres. Nur der Bühnenmeister Klepp wußte wie immer, was gespielt wurde. Er rannte durch das Opernhaus und rief jedem zu: » Die Deutschen marschieren ein, aus is, aus mit Österreich, aus– jetzt wern ma a Kolonie Aschantineger!«
Als Steinberg am späten Nachmittag das Opernhaus verließ, zog er den Hut tief in die Stirn und schlug den Mantelkragen hoch, um nicht erkannt zu werden. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite bemerkte er einen schnurrbärtigen Mann, der den Bühneneingang der Oper überwachte. Er trug wie ein Fiakerkutscher einen schweren Lodenmantel und einen schwarzen » Halbsteifen« auf dem Kopf und musterte jeden, der das Opernhaus verließ, indem er ihn mit der postkartengroßen Fotografie in seiner Hand verglich. Für den Bruchteil von Sekunden trafen sich ihre Blicke, verfingen sich und lösten sich wieder voneinander. Ohne auf den Mann mit dem Foto in der Hand zu achten, eilte Steinberg zur Kärntner Straße, wo berittene Polizei in all dem Jubel-Trubel, den der Rücktritt der Regierung ausgelöst hatte, für ein Mindestmaß an Ordnung sorgte. Um nicht aufzufallen, ging er nicht zu langsam, aber auch nicht zu schnell und wagte nicht, sich umzudrehen. Umständlich versuchte er, über einige junge Frauen hinwegzusteigen, die vor einem großformatigen Hitlerbild im Schaufenster des Deutschen Verkehrsbüros wie vor einer Ikone knieten und ihre Sträuße niederlegten. Das Blumenmeer, das
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