Augenblick der Ewigkeit - Roman
daß auch ich jenen › Gottbegnadeten‹ zugerechnet wurde, die der Reichsminister in seiner Eigenschaft als Präsident der Reichskulturkammer vom Wehr- und Arbeitsdienst freigestellt hatte– ein Privileg, das zugleich eine › Dienstverpflichtung im Sinne der Maßnahme des totalen Kriegseinsatzes‹ zur Folge hatte.«
» Zu welchen Anlässen wurden die › Gottbegnadeten‹ dienstverpflichtet?«
» Auf Wunsch- und Sonderkonzerten, im Rundfunk und im Film, vor Rüstungsarbeitern bei Borsig und Siemens, für Ausgebombte, Kriegsverwundete, Soldaten auf Fronturlaub und Hinterbliebene, um sie, so Goebbels, › mit Hilfe der holden Kunst in eine beßre Welt zu entrücken‹.«
» To keep them on line.Für seine Propagandazwecke also?«
» Zugegeben, wenn wir nicht gerade für das politische Establishment des Landes, vor geladenen Gästen des Propagandaministers, für die SS spielen oder im besetzen Ausland als Botschafter von › der kulturellen Größe und Überlegenheit Deutschlands‹ künden mußten. Und glauben Sie mir, Professor Ascher, wir alle waren uns damals über unsere Rolle als Propagandainstrument durchaus im klaren. Als mit der Erklärung des › totalen Krieges‹ das kulturelle Leben an der Heimatfront so gut wie zum Erliegen kam, dienten Beethoven, Wagner, Brahms und Bruckner nur mehr als Untermalung und Begleitmusik zum Sirenengeheul, Motorengebrumm, Flakschießen und Bombenkrachen, unter dem Berlin in Schutt und Asche fiel. Der Feind hatte sich den Himmel über der Stadt geteilt. Die Briten beanspruchten ihn bei Nacht, die Amerikaner kamen tagsüber. Schlager jener Tage, wie › Ich tanze mit dir in den Himmel hinein‹ oder › Ich weiß, es wird noch mal ein Wunder geschehen‹ wurden von den meisten nur noch als bloßer Hohn empfunden.«
» Wollen Sie damit den Terror der Nazis mit dem Terror der Alliierten gleichsetzen?
» Nein, ich wollte Ihnen nur die Reaktion der Bombenopfer schildern. Hitler erhob die Hunderttausende von Ausgebombten zur Avantgarde seiner Rache. Da die Vergeltung jedoch ausblieb, verfiel man der Verzweiflung. Viele versuchten, noch zu retten, was zu retten war: Unersetzliche Kunstwerke wurden in Flakbunker, Stollen und unterirdischen Gewölben ausgelagert, die Kirchen, Klöster und Residenzen, ihre Deckengemälde und Fresken, die den Luftangriffen schutzlos ausgeliefert waren, wurden von Fotografen und Architekten vermessen und dokumentiert, um sie nach dem Krieg wieder werkgetreu errichten zu können, und die weltberühmten Klangkörper wie die Berliner Philharmoniker, die Preußische Staatskapelle und das Gewandhausorchester wurden als Kollektiv u.k. gestellt, um sie in ihrer Gesamtheit als › musikalisches Juwel‹ sowohl spiel- als auch einsatzfähig zu erhalten. Goebbels verschaffte uns allen Bunkerausweise mit dem strikten Befehl, bei Fliegeralarm den nächsten Luftschutz aufzusuchen– ein unerhörtes Privileg in jenen Bombentagen. Denn zwischen dem Bomben- und dem Naziterror hatten die Menschen keine Wahl, als ihre Haut zu retten, und geeignete Luftschutzkeller waren rar. Sie müssen sich das vorstellen: Hunderttausende von Obdachlosen irrten kopflos durch die Stadt. Manche standen wie unter Trance, achteten in ihrer Apathie kaum mehr auf Blindgänger oder Zeitzünder, die auf den Straßen herumlagen. Allein der Eifer und der Mut der Hitlerjungen und der BDM-Mädchen waren ungebrochen. Sie halfen aus als Meldegänger, versorgten die Verwundeten, schleppten unermüdlich Hausratskarren zu den Evakuierungszügen, löschten Brände, bis sie schwarz wie Neger waren, vor Müdigkeit umfielen oder als Flakhelfer an den Geschützen krepierten, die gegen die › Flying Fortresses‹ und die B-17-Verbände kaum noch etwas ausrichten konnten. Für diese selbstlosen Jungen und Mädchen habe ich mit den Philharmonikern ein Sonderkonzert gegeben, völlig unabhängig davon, daß der offizielle Anlaß auch der elfte Jahrestag von Hitlers Machtergreifung war.«
» Mit der auch Ihre steile Kariere seinerzeit begonnen hatte?«
Herzog nickte. » Wenn Sie so wollen, ja. Aber darauf kam es eben nicht mehr an.«
» Worauf denn sonst?«
» Ich würde Ihnen gerne den Ablauf des Konzerts schildern, Professor. Vielleicht begreifen Sie dann, das war keine Propaganda mehr!«
Die Professorin klappte ihr Notizbuch zu und lehnte sich zurück.
» Wie schon so oft in dieser Spielzeit stand die Fünfte Symphonie von Beethoven auf dem Programm. Wegen der vielen Bombenangriffe in den Nächten
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