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Augenblick der Ewigkeit - Roman

Titel: Augenblick der Ewigkeit - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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Sie hatte ihn ziehen lassen, weil sie dem Großvater, der nie damit einverstanden gewesen war, daß sie einen dahergelaufenen Musikanten geheiratet hatte, das Gegenteil beweisen wollte. Als Kind hatte er keine andere Chance gehabt, als zu gehorchen, wohingegen sein Vater es verstanden hatte, sich ihren Ambitionen zu entziehen. Er war ein glücklicher Mensch gewesen, so erfolglos er auch war, während er, gleichsam stellvertretend für ihn, reüssieren und immer höher mußte, je steiler die Karriere wurde.
    War er denn glücklich gewesen, als er am Morgen auf der Dachterrasse stand? Für einen kurzen Augenblick hatte er Genugtuung und Triumph verspürt. Aber Glück? Der Auftrag des Ministers hatte in ihm prompt den Ehrgeiz geweckt, mit dem Festkonzert dem Führer und der gesamten Reichsregierung einmal mehr seine Einmaligkeit unter Beweis zu stellen. Versagensängste waren alles, was von jener frohen Botschaft übriggeblieben war. Er war nicht länger in der Lage, ruhig zu sitzen und ihre Hand zu halten.
    » Geh nicht wieder fort…« Sie versuchte, sich aufzurichten. Mit einem Blick verzweifelter Hoffnung fügte sie hinzu: » …nimm mich mit.«
    Sie ließ seine Hand los, sank zurück und schloß die Augen. Karl erwiderte nichts. In seiner Hilflosigkeit nutzte er den Augenblick, um aufzustehen. Er ging ins Treppenhaus, um sich von seinen quälenden Eindrücken zu befreien, und blieb auf jenem Absatz stehen, von dem aus er das Gespräch der Mutter mit dem Hofrat belauscht hatte. Wie damals stürzte er die Treppe hinunter und rannte über den Hof, unter der aufgehängten Weißwäsche hindurch, an der mit Brennesselbüschen und Goldruten bewachsenen Backsteinmauer entlang, bis er vor der Tür zur Werkstatt seines Vaters stand.
    In all den Jahren hatte sich hier nichts verändert. Die Holzsprossen der Fenster waren mit Efeu überwuchert und die Scheiben von Spinnen eingewoben. Auf dem Schreinertisch, an dem der Vater Musikinstrumente gebaut und die Puppen für sein Marionettentheater geschnitzt hatte, standen nunmehr Montagerahmen ausgeweideter Radioapparate und defekte Grammophone.
    Die schwere Tür zum Trockenraum, in dem noch immer kostbare Hölzer für die Anfertigung neuer Instrumente lagerten, war verschlossen, der Schlüssel abgezogen. Er brauchte nicht zu suchen. Er wußte, wo er den Ersatzschlüssel versteckt hatte. Das Schloß klemmte, und er befürchtete, der Schlüsselbart könnte abbrechen, so lange war schon nicht mehr aufgeschlossen worden. Erst als er ein paar Tropfen Öl ins Schließwerk geträufelt hatte, schnappte der Mechanismus auf. Die Tür knarzte in den verrosteten Angeln und ließ sich schwer bewegen.
    Betäubt vom Duft der Edelhölzer, der wie ein erlöster Flaschengeist dem Lagerraum entströmte, erfaßte ihn ein Schwindel. Wie durch ein Fenster konnte er in die Kammer seiner frühesten Kindheit blicken, und für einige Zeit fühlte und spürte er nichts als die Liebe zu seiner Mutter, derer er sich bis zu diesem Augenblick in ihrem ganzen Ausmaß nie wirklich bewußt gewesen war. Es war die heimliche Magie der Düfte, die ihn in Trance versetzte, um durch tiefe Finsternis zu jenen inselhaften Anfängen seiner selbst zu gelangen, als alles um ihn herum noch schemenhaft und fließend war und er die Dinge nur als Schatten wahrgenommen hatte. Ein helles Augenpaar schaute ihn an, und eine Stimme nannte ihn bei seinem Namen. Klänge drangen an sein Ohr und Laute, die ihm immer vertrauter wurden, bis er sie zu unterscheiden lernte. Sie gehörten Wesen, die er Mama und Papa nannte. Mama, wie sie auf einem Hocker vor dem Klavier saß und ihre Hände über die Tasten glitten, und Papa, wie er ihr Spiel auf seiner Geige begleitete. Er schaute ihnen zu. Papa, wie er sie zu sich hochzog, und Mama, wie sie sich seinen Armen anvertraute. Musik erklang dazu, und sie schwebten durch das Zimmer, seine Hand auf ihrem Rücken, ihr Mund an seinem Ohr. Er hörte das Schlurfen ihrer Füße, bis er in seinem Gitterbett nicht länger hinsehen konnte und, umbrandet von einer Flut von Reizen, seine Augen mit den Händen schützte– so sehr hatte er sich nach ihr gesehnt.
    » Wir müssen jetzt sehr stark sein, Karl.« Gudrun kam ihm im Treppenhaus entgegen. » Aber ich habe ihr noch sagen können, daß wir ein Kind erwarten.«
    Er erschrak über das grelle Tageslicht, das jetzt den abgedunkelten Raum durchflutete. Man hatte wie beim Reinemachen die Vorhänge aufgezogen und die Fenster geöffnet. Die Mutter lag so da,

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