Augenblick der Ewigkeit - Roman
auch, um seinem Konkurrenten Göring eins auszuwischen.«
Sein Herz fing schneller an zu schlagen, und er spürte, wie sein Magen sich entkrampfte. Im Vergleich zu dem Schlamassel, in dem er sich gerade noch befand, bekam er damit eine Chance, die sein Sicherheitsbedürfnis befriedigte und zugleich seinem Ehrgeiz diente, ohne kriegsbedingte Schwierigkeiten Bruckners Symphonien an adäquater Stelle mit der neuesten Stereotechnik aufzunehmen.
Nach dem Endsieg sollte nach Hitlers Willen in der Kulturhauptstadt des Reichs, in Linz, das » Musikwerk Weltrundfunk« entstehen. Schon zu Beginn des Krieges hatte man das Kloster St.Florian, in dem Anton Bruckner zeit seines Lebens als Organist gewirkt hatte, beschlagnahmt und es zum Sitz des Großdeutschen Rundfunks gemacht. Hier fanden alljährliche Bruckner-Festspiele statt, mit Rundfunkübertragungen und Schallplattenaufnahmen, hier war ein neues Prestigeorchester entstanden, das nach dem Willen des Führers den Berliner und den Wiener Philharmonikern ebenbürtig sein sollte. Er wußte, daß die Deutsche Reichsrundfunkgesellschaft dort mit den neusten K4-AEG-Magnetophon-Stereogeräten, Zweikanaltonbändern und Hochfrequenz-Vormagnetisierung experimentierte, ein neuartiges Verfahren, dessen technische Vorzüge er bereits bei Stereoschallplattenaufnahmen im Berliner Rundfunkhaus kennengelernt hatte. Das Angebot war zu verlockend. In seiner Dankbarkeit war er im Begriff, die Contenance zu verlieren und seinem Agenten um den Hals zu fallen.
» Ich weiß nicht, wie ich das jemals wiedergutmachen kann, Krausnik!«
» Ganz einfach, versuchen Sie, diesen Wahnsinn unbeschadet zu überleben, und vergessen Sie dabei nicht, wieviel näher die Grenzen zu Italien und der Schweiz von Linz und Wien aus sind.«
Der Agent nahm seinen Koffer und den Karton. In der Tür drehte er sich noch einmal um. » Sie sollten aber keine Zeit verlieren, Maestro! Sie wissen doch, wie unberechenbar Goebbels sein kann.«
Kaum daß der Agent das Zimmer verlassen hatte, schraubte Karl den Docht in der Petroleumlaterne höher und studierte neugierig die Vertragsentwürfe. Da hörte er einen Heulton und im Großen Saal das Glas der Oberlichter splittern. Unwillkürlich zuckte er zusammen, duckte sich und hielt sich, in Erwartung eines Volltreffers, mit den Händen am Schreibtisch fest. Bomben waren unsichtbar. Sie wurden von hohen, pfeifenden Tönen begleitet, die die Opfer in Angst und Schrecken versetzten. Erst wenn der Einschlag erfolgt war und der Boden bebte, war die Gefahr gebannt. Doch die Berliner Schnauze meinte: » Solange man se hört, treffen se eenen nich.« Er verharrte einige Augenblicke und lauschte. Statt einer Detonation war nur ein dumpfer Knall zu hören, dann ein zweiter und ein dritter– Blindgänger wahrscheinlich. Er atmete auf und fuhr mit der Lektüre fort.
In dieser Nacht entluden Tausende von Lancaster-, Halifax- und Stirlingbomber zweieinhalbtausend Tonnen Bomben im Takt von vierunddreißig Maschinen pro Minute über den Bezirken Tiergarten, Charlottenburg und Spandau. Es war bereits die zweite Welle, die über den Potsdamer und Anhalter-Bahnhof hinwegflog, und diesmal wurde es wirklich ernst.
Die Druckwellen der Minenbomben, die zur Vorbereitung der Feuersbrunst in der Bernburger, Köthener und Dessauer Straße einschlugen, ließen die Fenster und Türen der Häuser bersten, deckten ihre Dächer ab, damit der Brand mit Zugluft und ausreichendem Sauerstoff versorgt sein würde. Zugleich rissen zentnerschwere Sprengbomben tiefe Krater in die Straßen, um den Löschzügen der Feuerwehren die Zufahrt zu versperren. Ihre Detonationen ließen die Wände des Konzerthauses beben, obwohl es keine eigenen Außenfassaden hatte. Insofern war es gegen Splitterbomben und die Druckwellen der hochexplosiven Minen besser gewappnet als ein normales Gebäude, weil es unmittelbar an die rückwärtigen Brandmauern der Häuserzeilen gebaut war.
Nachdem die Lancasterbomber über die Philharmonie hinweggeflogen waren, herrschte trügerische Stille– bedrohlicher als der Höllenlärm zuvor. Nur ein tiefes Dröhnen, Grollen und Beben lag in der Luft. Die Petroleumlampe zitterte auf seinem Schreibtisch, und der ganze Raum vibrierte. Er machte sich um Gudrun Sorgen. Wahrscheinlich würde sie sich wieder weigern, in den Luftschutzkeller zu gehen, solange er nicht bei ihr war. Er konnte den Vertrag genausogut im Hotel zu Ende lesen. Er rief Zanetti an und bat ihn, sich seiner Gattin anzunehmen, er
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