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Augenblick der Ewigkeit - Roman

Titel: Augenblick der Ewigkeit - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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traten. Jana lag zerbrechlich wie ein kleines Kind in einem viel zu großen Bett, hohlwangig und abgezehrt, mit einem weißen Krägelchen, das locker ihren dünnen Hals umschloß. Ihr feines, kastanienrotes Haar war stumpf geworden, und ihre Alabasterhaut schimmerte gelb wie Bienenwachs. Jedes Tageslicht war aus dem Sterbezimmer verbannt, und ein süßlicher Geruch lag in der verbrauchten Luft. Gudrun goß sogleich etwas Mineralwasser in ein leeres Glas, fügte einige Tropfen ihres Parfüms dazu und versprühte die Mixtur mit spitzen Lippen im ganzen Raum.
    Karl trat an Janas Bett. Als er in ihr Gesicht blickte, tat sie ihm unendlich leid. Ihre Hände, die so wunderbar Klavier spielen konnten, bestanden nur noch aus Haut und Knochen und tasteten über das Bettuch, als wollte sie etwas einsammeln oder abstreifen. Sie schien sein Kommen nicht bemerkt zu haben und starrte unablässig auf einen Punkt an der Zimmerdecke. Auch als er sich über sie beugte, in ihren Blick hinein, schaute sie durch ihn hindurch, bevor sie ihn erkannte. Ihr Gesicht leuchtete auf, und ein Lächeln glitt über ihre Lippen. » Danke, daß du gekommen bist.«
    Sie sprach leise, aber sehr bestimmt, wobei sie jedes einzelne Wort nur mit Mühe hervorbrachte. » Du brauchst keine Angst zu haben, mein Karel.«
    » Mama, ich habe Gudrun mitgebracht.«
    Gudrun stand am unteren Ende des Betts, damit sie sich nicht nach ihr umdrehen mußte. Jana tastete nach ihrer Hand, führte sie an ihre Lippen und wollte sie gleich wieder loslassen. Gudrun aber hielt sie fest und setzte sich zu ihr aufs Bett.
    » Ich bin so froh, Sie…«, sie verbesserte sich, » …dich noch kennenlernen zu dürfen. Schade, daß du nicht zu unserer Hochzeit kommen konntest.« Sie sprach mit stiller Selbstverständlichkeit zu der Sterbenden, wie er es nie vermocht hätte. » Es ist kaum ein Tag vergangen, ohne daß Karl und ich an dich gedacht und uns deinetwegen Sorgen gemacht haben.«
    » Ich werde sterben.«
    Karl brach in Tränen aus. » Woher weißt du das, Mama?«
    » Weil ich spüre, daß es zu Ende geht.« Der Krebs hatte ihren Leib unter dem dünnen Leinentuch aufgebläht, als wäre sie schwanger. Wie er sie so liegen sah, wagte er nicht, darüber nachzudenken, welche Schmerzen ihr der zerstörte Körper bereiten mochte oder der wundgelegene Rücken. Ihr physischer Zerfall erweckte in ihm statt Anteilnahme nur ein Gefühl des Schreckens und des Widerwillens, und im Stillen wünschte er nur eins, es möge schnell mit ihr zu Ende gehen.
    Gudrun stellte ihm einen Stuhl ans Bett, und während er sich setzte und die Hand seiner Mutter hielt, tupfte sie ihr mit einem feuchten Tuch die Stirn, tauchte einen Wattebausch in eine Teetasse und befeuchtete damit Janas Mundhöhle und ihre Lippen. Als er sah, wie selbstverständlich Gudrun mit der Sterbenden umging, wurde ihm bewußt, daß sie als Frau im Gegensatz zu ihm viel besser wußte, was Leben und was Sterben bedeutete, und sich nicht davor fürchtete.
    » Ich laß dich jetzt allein mit ihr.« Gudrun zog die Zimmertür hinter sich zu, und er war allein mit seiner Mutter.
    Er wußte erst nicht, was er sagen sollte. Über Unwichtiges zu reden schien ihm ebenso unangebracht, wie vom Tod selbst zu sprechen. Also streichelte er nur ihre Hand und schwieg.
    Mit geschlossenen Augen lag sie da, nur ihre Stirn kräuselte sich mitunter, als müsste sie sich anstrengen, sich zu erinnern. So dämmerte sie vor sich hin. Mal murmelte sie im Halbschlaf tschechische Reime, die er nicht verstand, mal summte sie ein Kinderlied, das er von früher kannte. Sie schien sich schon sehr weit aus der Gegenwart entfernt zu haben und in ihrer eigenen Kindheit zu leben, und er befürchtete, aus ihrem verdämmernden Gedächtnis bereits gelöscht zu sein. Insgeheim beneidete er sie um ihr Wissen um den Tod, welches sie in ihrem gegenwärtigen Zustand schon besaß, und hörte auf, darüber nachzugrübeln. Statt dessen versuchte er, an ein paar praktische Dinge zu denken, an die Beerdigung, den Sarg zu bestellen– da huschte ein Lächeln über ihr Gesicht, und sie drückte seine Hand. » Du hast dem feinen Herrn fast in die Hand gebissen.«
    Mit feuchten Lippen fiel ihr das Sprechen leichter. Er wußte sogleich, wovon sie sprach.
    » Weil er mich dir wegnehmen wollte.«
    » Dein Vater hat sein Talent vergeudet. Ich wollte nicht, daß du so wirst wie er.«
    Er hatte es seiner Mutter nie verziehen, daß sie sein Schicksal in die Hände eines Fremden gelegt hatte.

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