Augenblick der Ewigkeit - Roman
hatte die Direktion den Konzertbeginn auf den Nachmittag vorverlegt. Ich hatte kaum den Einsatz gegeben und das Orchester die ersten Takte gespielt, da verlöschten die Lichter im Saal und an den Pulten. Stromsperre– und die bis auf den letzten Platz gefüllte Philharmonie sank in tiefe Dunkelheit. Nur ein paar Notlampen schimmerten. Meine Musiker versuchten, ohne Licht und Noten weiterzuspielen, bis dann das Allegro con brio im Nichts versickerte. Keiner der Jungen und Mädchen rührte sich vom Platz. Keiner, der aufstand oder anfing zu reden. Es herrschte völlige Stille in der totalen Finsternis. Da erhob sich der erste Konzertmeister und spielte auf seiner Violine die › Ciaccona‹ aus der Partita II für Solovioline in d-Moll, ein Art Totenmusik, die Bach als musikalisches Epitaph für seine verstorbene Frau Maria Barbara geschrieben hatte, ein instrumentaler Gesang des Schmerzes und der Trauer. Viele der Jungen und Mädchen weinten. Glauben Sie mir– niemals haben die Menschen Musik schmerzlicher ersehnt, Bachs und Beethovens Botschaft von der Menschenliebe und Freiheit, als gerade in jenen Tagen.« Ergriffen bedeckte er die Augen. » Am Abend, nur ein paar Stunden später…« Er unterbrach sich und stand auf. » Tut mir leid, Miss Ascher…«, und erklärte das Gespräch für beendet, » …ich muß mich jetzt auf meine Probe konzentrieren.«
Er begleitete die enttäuschte Professorin noch zur Tür, wo sie von Cosmo in Empfang genommen wurde. » Vielleicht können wir ein andermal unser Gespräch zu Ende führen.«
Als er allein war, ließ er sich in den Sessel fallen– ein Gefangener der Erinnerungen an jene Bombennacht, an dem die Philharmonie in Flammen aufgegangen war.
Berlin – Januar 1944
Ein Vorgefühl kommenden Unheils übermannte ihn, als er sich nach dem Konzert ins Dirigentenzimmer begab und die allabendlichen Luftangriffe angekündigt wurden, mit aufjaulenden Sirenen, die in seinen Ohren gellten, als heulten die Verdammten im Inferno. Ungeduldig wartete er auf seinen Agenten Krausnik, der ihn unbedingt zu sprechen wünschte– nein, nicht am Telefon– persönlich! Wenigstens die Telefonleitungen funktionierten noch. Im ganzen Haus gingen, wie schon während des Konzerts am Nachmittag, die Lichter wieder aus. Stromsperre! Er zündete die Petroleumlampe an und schaute auf die Uhr. Ihm blieben höchstens zehn Minuten Zeit, um rechtzeitig vor dem Luftangriff ins Excelsior zu kommen, wo Gudrun auf ihn wartete.
Seit sie Menschen im Hotel gelesen hatte, fand sie es très chiquesich mit ihm in jenem Grandhotel zu treffen, das als Kulisse für Vicki Baums Kolportageroman galt. Zudem war sie es ihrem Prestige als Opernstar schuldig, wie alle Künstler im » größten Hotel des Kontinents« abzusteigen, das unweit von der Philharmonie lag. Es war die bequemste Art zu reisen: Wenn sie, wie an diesem Morgen, mit dem Nachtexpreß aus Wien im Anhalter Bahnhof ankam, wurde sie bereits am Schlafwagen von einem Hoteldiener in Empfang genommen, der sie und ihre Koffer durch den Excelsior-Tunnel– eine achtzig Meter lange hoteleigene Unterführung, die die Bahnsteige des Bahnhofs mit dem Foyer des Grandhotels verband– und mittels eines Spezialaufzugs direkt auf ihr Zimmer brachte, im Dressinggown gewissermaßen und ohne daß sie groß Toilette machen mußte.
Er wollte gerade Zanetti, den Chefconcierge, anrufen, um ihn zu bitten, sich seiner Gattin anzunehmen und dafür zu sorgen, daß sie in den Luftschutzkeller gehe, als Krausnik mit einem schäbigen Lederkoffer und einem verschnürten Margarinekarton in das Dirigentenzimmer trat. Er hatte ihn erst nicht wiedererkannt und drehte den Docht der Petroleumlampe höher. In seinem zerschlissenen Wintermantel, den fingerlosen Mitaines und einem dunkelblauen Kreuzstirnband auf dem Kopf, durch das die semmelblonden Haare herausstachen wie Stroh, sah der Agent, der als SS-Sturmbannführer nur in schwarzer Uniform aufgetreten war, wie einer jener Obdachlosen aus, die auf den Berliner Straßen zu Tausenden herumirrten.
» Wie sehen Sie denn aus?«
» Besser, Sie drehen die Lampe wieder runter. Es könnte gefährlich werden, sollte man uns zusammen sehen.«
» Wollen Sie Berlin verlassen?«
» Auf dem schnellsten Weg. Wir sind in ihre Schußlinie geraten. Die Gestapo hat heute morgen mein Büro durchsucht. Goebbels hat kurzen Prozeß gemacht und mich aus der Musikkammer gefeuert. Sie wissen, was das heißt: Berufsverbot und Front.«
Furtwängler hatte bei
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