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Augenblick der Ewigkeit - Roman

Titel: Augenblick der Ewigkeit - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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mache sich jetzt auf den Weg. Durch den Hörer konnte er im Hintergrund die aufgescheuchten Hotelgäste schreien hören. Der diskrete Chefconcierge war trotz des Chaos, das in der Hotelhalle ausgebrochen war, höflich und zuvorkommend wie stets– naturalmente werde er persönlich dafür Sorge tragen.
    Hastig packte er die Papiere in die Tasche und warf sich seinen Mantel über. Er rannte durch den Oberlichtsaal, über den in einer dritten Welle Hunderte Halifax- und Stirlingbomber hinwegflogen und Abertausende schmaler, kaum ellenlanger Elektronthermitstäbe in die aufgesprengten Häuser warfen, Brandbomben, deren einzige Aufgabe darin bestand, die größtmögliche Feuersbrunst im Viertel rund um den Potsdamer Platz zu entfachen.
    Ein halbes Dutzend Orchestermusiker, die für die Nacht zum Luftschutzdienst eingeteilt waren, kam ihm entgegen. Sie rannten zum Großen Konzertsaal hinüber, jeder mit einem Eimer Sand, Feuerpatschen und nassen Handtüchern bewaffnet, rissen die Flügeltüren auf– zu spät.
    Der riesige Saal, in dem er eben noch vor Tausenden von Jugendlichen konzertiert hatte, brannte lichterloh. Einige Kanisterbomben waren bei der ersten Welle unbemerkt durch die Decke gefallen. Mit ihrem Zündmechanismus– dem dumpfen Knall, den er zuvor gehört hatte– hatten sie eine zähflüssige Brandmasse über das Gestühl, die Bühne und die Wandverkleidung geschleudert– weißer Phosphor, der sich selbst entzündete und mit Wasser nicht zu löschen war.
    Er half den Männern, die noch versuchten, reihenweise Stühle aus dem Saal zu schieben. Dann stürzte die brennende Decke herunter, und das offene Dach wirkte wie ein Feuerschlot. Im Nu bündelten sich die Flammen zu einer gewaltigen Feuersäule, die alle Luft durch die geöffnete Flügeltür ansaugte. Orkanartige Windböen fegten durch den schlauchartigen Kolonnadenvorhof in die Philharmonie und versorgten die Feuerlohe mit immer neuem Sauerstoff.
    Auf der Bernburger Straße wurde er von einem Hitzesturm erfaßt, der ihm schier den Atem nahm. In den Häuserzeilen um das Konzerthaus herum tobte ein gigantischer Feuersturm. Menschen flohen aus den Kellern und Hinterhöfen, die zu Krematorien zu werden drohten. Ein durchgegangener Droschkengaul galoppierte über das Kopfsteinpflaster, scheute vor einem herabstürzenden Balken am Eingang der Philharmonie und trabte, mit herunterhängenden Zuggurten, wie ein verspäteter Konzertbesucher an ihm vorbei durch das Torportal in den Kolonnadenvorhof, als ginge es dort geradewegs in seinen Stall.
    In Richtung Anhalter Bahnhof und Askanischer Platz war die Bernburger Straße mit Kratern und brennenden Trümmern blockiert. Zum Grandhotel mußte er einen Umweg machen, die Dessauer Straße hinunter, zum Landwehrkanal, wohin die meisten Menschen vor der hitzeglühenden Luft flohen. Sie tauchten trotz der Winterkälte ihre Decken, Tücher, Mäntel und Jacken in das Wasser, um sich gegen die Hitze und den Funkenflug zu schützen.
    An der Hafenmauer sah er eine Frau, über und über mit Phosphormasse bespritzt, die wie eine Fackel brannte. Die Flammen hatten sich unter ihren Füßen entzündet, züngelten die Beine hinauf, über den Bauch, die Brust, bis ihre Haare loderten. Sie sprang ins eiskalte Wasser. Immer, wenn sie wieder auftauchte, entzündeten sich die Flammen an der Luft aufs neue. Entsetzt starrte er auf den ausweglosen Todeskampf dieser Frau, zu verbrennen oder zu ertrinken, bis sie wie eine ausgebrannte Hülse im Landwehrkanal versank. Ein wilder Zorn stieg in ihm hoch. Hier war eine Grenze überschritten, die das Sterben zu einer obszönen Greueltat machte. Angesichts dieser Grausamkeiten gab es keine Halbwahrheiten mehr, mit denen man sich arrangieren konnte. Der Krieg war in seiner musikalischen Parallelwelt angelangt. Hinter seinem Terror verbarg sich eine neue Wahrhaftigkeit, die aller Schönheit, aller Nonchalance und aller Lebensfreude ein Ende setzte.
    Wie unter Schock taumelte er weiter. Sein Puls jagte, und der Schweiß rann ihm von der Stirn. Unter den Schuhen knirschte Glas. Rauch und Ruß verpesteten die Luft. Das Taschentuch, das er sich als Atemschutz vor die Nase hielt, war schwarz. Er bahnte er sich einen Weg durch die Flüchtenden, die den Straßenschluchten zu entkommen suchten und ans Kanalufer strebten.
    Der schmale Durchgang zum Westeingang des Anhalter Bahnhofs war von brüllenden Menschen blockiert, die in den Bahnhof drückten, um die Luftschutzkeller der S-Bahn im Nord-Süd-Tunnel zu

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