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Augenblick der Ewigkeit - Roman

Titel: Augenblick der Ewigkeit - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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Einstudierung von Herzogs » Variationen über ein mährisches Kinderlied«, aufgehalst hatte, eine Suite für Gesangsstimmen und Orchester in lydischer Tonart, die an Kompositionen Jan á ˇ ceks erinnerte. Die taktmäßige Gliederung des Kopfsatzes war keineswegs gleichförmig, wie es dem Neoklassizismus der zwanziger Jahre angemessen wäre, sondern entsprach vielmehr der Polyrhythmik mährischer Volkslieder, mit zuweilen irrationalen Dreizehnachteltakten oder Siebzehnsechzehnteleinsprengseln in ungewöhnlichen Metren von fünf- und siebentaktige Perioden.
    Den Anfang machte eine rondoartige Tanzmelodie, variiert in verschiedenen Dur-Moll-Kombinationen, nach einem Thema, das sein Vater auf ihren Wanderungen durch das Kuhländchen oft auf der Violine gespielt hatte, eine musikalische Reminiszenz an frühere Sommertage, die noch erfüllt waren von Sonnenlicht und Schwärmereien. Die Musik begann mit einem Pianissimohauch der Streicher, ging über in eine lebhafter bewegte Gangart, bis sie schließlich das ganze, in vielen Farben schillernde Orchester erfaßte.
    Die Töne, die an sein Ohr drangen, wurden immer eindringlicher und hielten ihn in einem tranceartigen Dämmerzustand, aus dem er nicht erwachen wollte. Seine Lippen waren leicht geöffnet im vertrauensvollen Hingegebensein des Halbschlafs, sein Atem floß unmerklich, auf seinem Gesicht spiegelte sich der Zauber der Töne und Klänge, die durch die Balkontür hereinschwebten und ins Innere seines Herzens drangen, bevor sie durchs offene Fenster wieder entschwanden. Alle Erdenschwere wurde von ihnen davongeschwemmt, und er fühlte, wie die Musik jene eigentümliche Wehmut in ihm heraufbeschwor, die den innersten Kern seines Wesens traf und Erinnerungen an seine Kinderzeit in ihm auslösten.
    Als körperloser Träumer schwebte er wie ehemals mit weit ausgebreiteten Armen über dem Kuhländchen und blickte auf ein Schachbrett gelber Stoppelfelder und grüner Wiesen. Der Himmel war mit einem dünnen Schleier grauer Wolken bedeckt und verlieh der Traumlandschaft, auf die er herabblickte, eine schwermütige Unwirklichkeit. Ein Sehnen ergriff Besitz von ihm, noch einmal darüber hinwegzufliegen, leicht wie der Samen einer Pusteblume, und mit dem Meer der Töne zu verschmelzen, die ihn davontrugen, als bestünde jene Atmosphäre, in der er schwebte, nur aus ihren Klängen, aus einem An- und Abschwellen von Dunkelheit und Helligkeit, das aus der Tiefe kam und alles um ihn her verwandelte. Als er hinunterblickte auf die Erde, sah er unter dem Birnbaum seinen Vater vor einem großen Orchester stehen. Er trug einen Frack, wie ein richtiger Konzertmeister, und statt einer Geige hielt er einen Taktstock in der Hand.
    Träumte er, oder träumte es ihm? Kamen diese Töne aus seinem Innersten, oder waren es die Musikanten unter dem Birnbaum, die sie spielten? Wie dem auch sei. Solange er sich weigerte aufzuwachen, konnte er hören, wie sie singend, bebend, zitternd, lauter und leiser um ihn herum erklangen, während eine Szene nach der anderen aus der damaligen Zeit vor seinem inneren Auge kam und ging. Seine ganze Kindheit war zu Musik geworden, zu etwas Absolutem, das aus sich selbst heraus entstand.
    Er drehte sich zur Seite, zog sich das Bettuch über die Schulter, um im Dämmer- oder Halbschlaf zu verharren, weil er fürchtete, wenn er aufwachte, würde die Musik unwiederbringlich verklungen sein. Dabei überließ er sich der wunderbaren Gewißheit, daß es schließlich unerheblich war, ob er träumte oder es ihm träumte, solange sie nur nicht aufhörte. In einem Arioso beschworen eine Frauen- und eine Männerstimme den Abend am Ufer eines Flusses, in dem Kinder badeten und Zigeuner sangen, während sie ihr Floß stromaufwärts zogen: » Manzanicas coloradas, las que vienen de Stambol … se escapo corriendo el cudullo azul« Er glaubte, Gudruns Stimme herauszuhören und die von Steinberg auch. Aber was hatten die beiden an dem Ufer jenes Flusses verloren?
    Irgend etwas, das ihn irritierte, gab ihm die Kraft, sich aus dem Bann des Träumens zu befreien und endlich aufzuwachen. Noch war er aber von den hypnotischen Bildern seiner Traumwelt so gefangen, daß ihm nicht auffiel, daß die Musik im Garten weiterging. Verwirrt, als hätte seine Seele ihren Körper verlassen und weigerte sich zurückzukehren, nahm er die Schlafmaske von den Augen und blinzelte an die Decke. Dann erst fiel ihm ein, daß ja heute sein Geburtstag war.
    » Maria– dieses Luder!«
    Wie ans Bett

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