Augenblick der Ewigkeit - Roman
Auffangnetz wirkte, wühlte sich in den sandigen Grund und blieb schließlich mit einem häßlichen Aufkreischen stehen.
Lassally richtete sich auf und klopfte sich den Sand von der Hose. Eine Radkappe kam auf ihn zugerollt und blieb vor seinen Füßen scheppernd liegen. Er folgte den Bremsspuren, die den Dünensand aufgerissen hatten, bis er den Rallyewagen in einer Kuhle liegen sah. Es roch nach verbranntem Gummi, bläulichbrauner Rauch strömte aus dem Kühler, und die Windschutzscheibe lag zertrümmert im Wageninnern. Lassally riß die Fahrzeugtür auf: Herzog saß angeschnallt auf dem Schalensitz und betrachtete seine zitternden Hände. Dann blickte er zu ihm hoch und blinzelte. » Bist du das etwa, Victor?« Er kniff die Augen zusammen und schüttelte den Kopf, als sähe er ein Gespenst. » Dich hätte ich hier am allerwenigsten erwartet.«
» Maria sagte, du sehntest dich nach mir…«
» So, sagte sie? Was machst du eigentlich hier, abgesehen davon, daß ich mich wirklich riesig freue, dich noch einmal wiederzusehen.«
» Ich wollte zum Strand, ein wenig in der Sonne liegen. Und du, abgesehen davon, daß du diese Straße mit einer Rennstrecke zu verwechseln scheinst?«
» Ich teste mein Geburtstagsgeschenk!«
Lassally griff Herzog unter die Arme und zog ihn aus dem Cockpit. » Glückwunsch, du hast es überlebt.«
Herzog stand mit weichen Knien im Sand. » Du brauchst übrigens nicht so zu schreien. Ich bin nicht taub, zumindest noch nicht ganz.
» Ist es schlimmer geworden?«
» Es geht. Gott sei Dank weiß es keiner.«
» Die ganze Branche spricht von nichts anderem.«
Herzogs Knie gaben nach. Er knickte ein. Lassally konnte ihn gerade noch auffangen. » Komm, ich helf dir auf! Soll ich deine Leute benachrichtigen?«
» Nein, bleib bei mir. Der Schwindel legt sich sicherlich gleich wieder. Laß uns runtergehen ans Wasser. Am Strand entlang sind es nur ein paar Minuten bis zum Haus…«
Er nestelte die Schuhriemen auf, zog Schuhe und Strümpfe aus und krempelte seine Hosenbeine hoch. Auch Lassally hatte Schuhe und Strümpfe ausgezogen. Barfuß wateten sie durch das Wasser am Strand entlang, der nach einem halben Kilometer in einem Bogen um das Cap Salin herum zu einer Felsengruppe führte, hinter der » Klingsors Zaubergarten« lag.
» Wenigstens kann ich so noch meine Geburtstagswünsche anbringen: Weder Liebe noch Freundschaft, Geld, Ehrgeiz, noch Haß und Verrat haben je mein künstlerisches Urteil beeinflussen können, wonach du unbestreitbar zu den Größten in der Welt der Musik gehörst.«
» Ich danke dir, Victor. Du bist in meinem Leben mehr als einmal als rettender Engel aufgetaucht, immer dann, wenn es mir so richtig schlecht ging und ich es am wenigsten erwartet hatte.«
Bayern – Sommer 1946
W arning: Read the entire Fragebogen carefully before you start to fill it out.« Major Jakubowski, der US-Kulturoffizier der Information Control Division, einer Einheit, die überwiegend aus den Reihen der Exilanten rekrutiert war, hatte ihn im Prinzregententheater während einer Orchesterprobe von der Bühne weg verhaften lassen. Mit einem Jeep wurde er ins Headquarter der ICD in Bogenhausen verfrachtet und dort stundenlang verhört. Der Komponist und Dramaturg an den Bayerischen Staatstheatern, Karl Amadeus Hartmann, hatte Herzog engagiert, in München eines der » Musica viva«-Konzerte mit dem Bayerischen Staatsorchester zu dirigieren, eine neue Reihe für zeitgenössische Musik unter Aufsicht der amerikanischen Militärregierung, um dem Münchner Publikum die Musik zu präsentieren, die ihm jahrelang von den Nazis vorenthalten worden war, wie Strawinsky, Schönberg oder Hindemith.
Jakubowski, ein polnischer Emigrant, hatte nicht vergessen, daß der Staatskapellmeister Karl Amadeus Herzog in Schloß Kressendorf für den kunstsinnigen Generalgouverneur und Musikliebhaber Hans Frank, den die Polen nur » den Schlächter« nannten, Konzerte gegeben hatte, während seine Familie und Verwandten nach Treblinka deportiert worden waren. Er wußte also, wen er vor sich hatte. Herzogs Name stand auf seiner schwarzen Liste. Er sei ein strong Nazi gewesen und bekomme erst dann wieder eine Chance, in der Öffentlichkeit aufzutreten, wenn er den Fragebogen des Military Government of Germany ausgefüllt und sich einem Spruchkammerverfahren unterzogen habe.
Solange war ihm jeder öffentliche Auftritt untersagt, wohingegen der kleine Professor Böhm, der doch ein viel größerer Nazi als er gewesen
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