Augenblick der Ewigkeit - Roman
gefesselt blieb er noch eine Weile unbeweglich liegen, während draußen im Garten das Orchester das Scherzo anstimmte, dem einige erregende Läufe auf einem Zimbal vorausgegangen waren. Es war ein Ländler voll flimmernder Töne, wie sie ihn auf Bauernhochzeiten gespielt hatten, in Wirtshausgärten, vollgepfercht mit schwitzendem Volk, betrunken und mit geröteten Gesichtern. Alles taumelte durcheinander und wirbelte im Rhythmus der Musik, die immer mehr an Tempo und Rasanz zunahm und schließlich in einen rasenden Galopp mündete, der mit einem finalen Paukenschlag endete, als wäre ein Schuß gefallen.
Genauso hatte er das damals komponiert, als er Anfang der fünfziger Jahre einen Sommer bei Franziska in Tanglewood verbracht hatte. Aber noch nie hatte er seine Komposition von einem Orchester gespielt vernommen, an die er sich kaum noch erinnerte und die er eigentlich schon verloren geglaubt hatte. Überwältigt von dem Geschenk, das Maria ihm machte, stand er auf und ging hinaus auf die Terrasse, nicht ohne vorher eine Sonnenbrille aufzusetzen. Niemand sollte sehen, daß ihm die Tränen in den Augen standen.
Schüchtern wie ein Kind, das den Spielplatz fremder Kinder betritt und noch nicht weiß, wohin es sich wenden soll, um mit ihnen zu spielen, trat er auf den Balkon und machte große Augen, als er im Orchester seine scheinbar undankbare Tochter Johanna neben Ben entdeckte, die er doch in Tel Aviv wähnte. Mit unsicheren Schritten ging er die Treppe hinunter, die in den Garten führte, Schritt für Schritt, als suchte er nach einem Platz, um sich einen besseren Überblick zu verschaffen. Als er dann auch noch Gudrun neben Steinberg sitzen sah, die mit strahlenden Augen zu ihm heraufblickte, war er kurz davor, die Fassung zu verlieren. Er schluckte, seine Knie wurden weich, und er mußte sich auf eine Treppenstufe setzen. Da saß er nun und lauschte der Musik in jener unbestimmten Stimmung aus Rührung und Ergriffenheit, die allen Mitwirkenden die Tränen in die Augen trieb, und himmelte Maria an, wie sie mit dem Rücken zu ihm dirigierte. Kein Zeichen, keine Geste, kein Wink entging ihm, mit dem sie das Orchester leitete. Er erkannte seine Körpersprache, wie sie die Füße ein wenig auswärts kehrte, ihren schwingenden Oberkörper den Musikern zuwandte, wie sie die Arme angewinkelt hielt und den Takt mit ähnlich akrobatischen Gesten schlug wie er und sich um ein breit dahinfließendes Legato mühte– all diese kleinen Beobachtungen versetzten ihn in großes Entzücken.
Lassally war auf seinem Fußmarsch noch nicht weit gekommen. Immer wieder war er stehengeblieben, schaute mit zwiespältigen Gefühlen hinunter auf » Klingsors Zaubergarten«, aus dem ein sanfter Wind die Musik zu ihm herauftrug. Er lehnte sich an eine lose gefügte Steinmauer und schneuzte sich gerührt die Nase. Was er hörte, klang wie das Finale, gefolgt von Beifall und einem »Hochsollerleben« aus vollen Kehlen.
Er war schon kurz davor umzukehren und hing sich mit einem »A ch, was soll’s!« die Jacke über die Schulter, da rauschte mit abgestelltem Motor ein Transporter mit der Aufschrift » Tanaka Electronics« lautlos wie ein Segelflugzeug an ihm vorbei und hielt vor dem elektronisch gesteuerten Eingangstor, das sich wie magisch öffnete. Er brauchte nur auf das kleine Mäuerchen zu steigen, um zu sehen, wie ein halbes Dutzend Mechaniker von der Ladefläche heruntersprang und über die hydraulische Laderampe des Transporters einen in goldene Folie gehüllten langgestreckten Gegenstand absenkte. Das waren die Japaner, seine schlimmsten Feinde, die sich zum Gratulieren eingefunden hatten. Er schnaubte wie ein Wasserbüffel. » Aut papa aut nihil!« Wie gut, daß er sich von Maria nicht hatte überreden lassen. Er ballte die Fäuste und setzte seinen Fußmarsch fort.
Unterdessen flossen die Freudentränen über das Wiedersehen mit Steinberg, dem Freund, den Herzog nach so vielen Jahren endlich wieder in die Arme schließen konnte; und mit bewegter Stimme bedankte er sich bei allen, ganz besonders bei Maria, für das wunderschöne Geburtstagskonzert. » Meine liebe Maria, und du, Gudrun, wie schön, daß du gekommen bist…«, er legte seine Arme um beiden Frauen und küßte jede auf die Stirn, » …du auch, Johanna…« Gerührt umarmte er seine Tochter, die ihm mit ihrer Notlüge doch einen solchen Streich gespielt hatte, und drückte sogar Ben an seine Brust. » …und du, mein lieber Schwiegersohn, wenn du doch endlich meine
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