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Augenblick der Ewigkeit - Roman

Titel: Augenblick der Ewigkeit - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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machen.
    Irgendwo am Himmel, das wußte er, stand der formlose Mond. Im Himmelsstück des Fensterausschnitts konnte er ihn nicht sehen, nur sein undeutliches milchiges Licht hinter der dunklen Pinie ahnen. Ein warmer Windstoß füllte das Schlafzimmer mit ihrem Duft. Er atmete tief ein, löschte das Licht und räkelte sich.
    Er hatte Muskelkater, wie immer, wenn er eine dieser überlangen Bruckner-Symphonien durchdirigieren mußte, und wenn er die rechte Hand zur Faust ballte, fuhr ihm ein stechender Schmerz in den Arm. Er hatte durchgehalten, als gegen Ende der Generalprobe ihn abermals jenes Schwindelgefühl überfallen hatte wie am Dienstag, als er in New York vom Podium gestürzt war. Von daher kannte er die Symptome vasovagaler Synkopen. Vor seinen Augen fing es an zu flimmern, sein Gesichtsfeld wurde enger, er sah die Farben greller und die Kontraste schärfer. Dann tanzten schwarze Punkte vor seinen Augen, und er spürte eine Blutleere im Kopf, während das Ohnmachtsgefühl langsam den Rücken hochkroch.
    Dagegen hatte ihm der junge Doktor im Lincoln-Center einen Trick verraten: mit der Hand einen Gummiball mit voller Kraft so lange drücken, bis die Ohnmachtssymptome gebannt seien. In Ermanglung eines Gummiballs hatte er den Korkballen seines Dirigentenstabs zerquetscht, zusätzlich die Beinmuskeln angespannt und wie bei einem isometrischen Muskeltraining die Pobacken zusammengepreßt, als könnte damit das Blut in den Kopf zurückgepumpt werden.
    Nur das gewaltige Finale lag noch vor ihm, ein paar Dutzend Takte, bis ihn die triumphalen Schlußfanfaren aus seiner Not erlösten. Gleich darauf ging es ihm schon wieder besser. Keiner schien etwas bemerkt zu haben. Wäre er vor laufenden Kameras zusammengebrochen, hätte man ihn unweigerlich mit Blaulicht in die nächste Intensivstation verfrachtet, und das wäre das sichere Aus für das Satellitenkonzert gewesen.
    Er gähnte, streckte die Beine einzeln aus, als würde er im Liegen wie auf Zehenspitzen gehen, und knuffte sich die Bettdecke unter die Lendenwirbel. Ein Wohlgefühl machte sich in ihm breit. Er freute sich auf den morgigen Tag, auf das Satellitenkonzert– ja, und auch auf die Dobostorte, die Madame Hue für ihn gebacken hatte. Noch konnte er seinen Körper spüren, noch lebte und atmete er! Bei dem Gedanken an all seine Widersacher und Kollegen, die ihn so gerne unter der Erde sähen, bevor auch sie ins Gras beißen mußten, überkam ihn eine klammheimliche Freude, daß sie sich alle täuschten.
    Aus seiner gemütlichen Geborgenheit heraus sah er plötzlich einen bebenden Lichtreflex wie eine kosmische geheime Botschaft an der Zimmerdecke aufblitzen, der sich langsam ausbreitete und über den Plafond wanderte. Ein Mondstrahl, der für einige Momente ein bis zum Rand gefülltes Regenfaß im Garten streifte, dessen Wasseroberfläche vom Wind gekräuselt wurde, tanzte zitternd wie ein Espenblatt vor seinen Augen, so daß er vor Vergnügen schier verging.
    Mit der todsicheren Gewißheit, daß es noch lange nicht mit ihm zu Ende sei, brach eine gewaltige Müdigkeit über ihn herein, die in der Eile, mit der sie ihm die Augen schloß, alles Grübeln über seine Endlichkeit beiseite wischte, während die himmlischen Mozart-Töne aus dem Radio ihn in sanftere Träume als zuvor hinübergleiten ließen.

Saint-Tropez – Samstag
    W ie jeden Morgen, wenn Maria vor Tagesanbruch in der Meeresbucht zum Baden ging, suchte sie am Himmel nach dem Morgenstern. Sein magischer Glanz vertrieb das Morgengrauen und die Sorgen, die sie sich machte, seit Cosmo ihr am Vorabend die letzten Minuten auf dem Videoband der Generalprobe gezeigt hatte. Der Herold der Morgenröte stand im türkisfarbenen Zwielicht des frühen Morgens nur wenige Fingerbreit über dem Horizont des Meeres. Der Himmel im Osten rötete sich bereits, und die fasrige Wolkendecke über dem Meer im Westen fing an zu leuchten wie rosa Löschpapier.
    Sie ließ sich ins Wasser gleiten und schwamm ins Meer hinaus. Beim ersten Strahl der aufgehenden Sonne waren alle finsteren Gedanken verflogen, und sie beschloß, nicht mehr bei jedem seiner Schwächeanfälle gleich in Panik zu geraten. Sie nahm sich vor, die Zeit mit Karl so intensiv wie möglich zu verbringen, und freute sich, als daraufhin, wie zur Bekräftigung ihres Vorsatzes, die Sonne auf dem Wasser einen Lichtsteg zu ihr schlug. Alles wird wieder gut, dachte sie und dankte den Götterboten, die als grüne und blaue Phantombilder ihrer überreizten

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