Augenblick der Ewigkeit - Roman
Karls lapidare Antwort. Und was, wenn dem ganzen Universum dieses grauenvolle Geschehen in den Konzentrationslagern ziemlich gleichgültig war, und es ihn überhaupt nicht gab? » Ist es denn nicht schon großartig genug, daß es überhaupt ein Universum gibt?« Die Vorstellung seiner jähen Abwesenheit war wie ein Schock über sie gekommen, denn ohne ihn war für sie die Welt ein grauenhafter Ort der Finsternis, in dem nur Tod und Vernichtung herrschten.
» Gib zu, wir haben geahnt, was sie mit den Juden gemacht haben, mit den Polen, den russischen Kommissaren und deutschen Kommunisten. Mit allen, die ihnen im Weg standen und plötzlich gehen mußten und verschwunden sind. Aber daß es ein so großes Verbrechen war, haben wir nicht gewußt. Und deshalb ist es gut, daß uns die Amerikaner diese Filme zeigen.«
» Dann sollten sie aber auch die anderen Filme zeigen, die Leichenberge von Dresden, Pforzheim und von Hamburg. Damit der ganze Wahnsinn sichtbar wird.«
» Schon willst du dich vor der Verantwortung drücken, indem du ihre Kriegsverbrechen gegen die unsrigen aufrechnest.«
» Du willst also, daß ich mich hinstelle: Alle mal herhören: Ich war ein überzeugter Nazi. Hitler war mein Idol. Seine Macht hat mich fasziniert?«
Er kam ihr vor wie das eigensinnige Kind im Märchen, dem die Mutter mit der Rute erst aufs Ärmchen schlagen mußte, damit es Ruhe unter der Erde finden konnte.
» Das stimmt doch auch, solange es deiner Karriere nützlich war.«
Sie holte ein Glas Erdnußbutter aus dem Vorratsschrank und eine angebrochene Dose mit Mixed Pickles. » Ich mache dir keine Vorwürfe, ich habe ja selber mitgemacht.« Sie löffelte die Erdnußbutter so gierig aus dem Glas, daß Karl schon befürchtete, sie sei wieder schwanger. » Wovor ich Angst habe, ist, daß nichts mehr sein wird wie früher, so lebensfroh und unbeschwert.«
» Das kommt, wenn erst einmal die Trümmer wieder aufgeräumt sind.«
» Ich meine, unser beider Leben. Glaubst du, ich wüßte nicht, wie unglücklich du bist, was in dir vorgeht, seit du hier tatenlos herumsitzt, praktisch ohne jede Perspektive.«
Karl schwieg, weil er wußte, wie recht sie hatte.
» Auch wenn jetzt alles anders wird«, sie legte ihre Arme um ihn, und er roch den feinen Erdnußduft in ihrem Mund, » zwischen uns soll alles bleiben, wie es war. Versprich es mir.«
» Ich verspreche es dir. Wir sind davongekommen. Wir haben keinen Grund, uns zu beschweren.«
» Das tue ich ja auch nicht. Davongekommen sind wir– aber wie. Ich habe in den Bombennächten oft an den Tod gedacht, wie es ist, entstellt zu sein und weiterleben zu müssen, womöglich ohne Arme, ohne Beine. Aber ich hatte nie wirklich Angst, weil ich wußte, daß Gott seine schützende Hand über mich halten würde. Aber jetzt…« Seit jenem Abend im Gemeindesaal hatte sie ihn verloren und seine wachsame geheimnisvolle Gegenwart, in der sie sich so aufgehoben gefühlt hatte.
Karl tauchte seine Lippen in ihr Haar. » Dir wird nichts geschehen.«
» Doch, und es ist auch schon passiert. Denn ich habe Angst bekommen vor dem Leben und der Zukunft.« Sie setzte sich an den Küchentisch und fing an zu weinen.
Karl setzte sich hilflos zu ihr. Er hatte keine Worte, sie zu trösten. Unten, im Zimmer der Schwiegereltern, hörte er den kleinen Joachim üben. Die Amerikaner schickten ihn in die Sunday School, damit er nicht ein Nazi werde. Er machte große Fortschritte, seitdem er ihm Klavierunterricht erteilte. Zum ersten Mal hatte er Zeit für ihn. Dann setzte er ihn zwischen seine Beine, nahm seine kleinen Hände huckepack, während er Etüden von Scarlatti spielte. Er war zu einem strammen Burschen herangewachsen, der sich mit den Dorfkindern meistens vor der Feldküche der Neger-GIs herumtrieb, die ihre blankgeputzten Konservendosen mit Mashed Potatoes und Corned Beef füllten. Sein Klavierspiel unten hörte plötzlich auf, und kurz darauf kam Joachim die Treppe heraufgerannt.
» Da unten sind zwei Amis, die wollen den Papa sprechen.«
Die beiden Amis waren von der MP, trugen silberne topfartige Helme, einen Lederriemen über der Brust und weiße Gamaschen über den Combat Boots. » Mr. Herzog, you are under arrest!«
Gudrun stieß einen kleinen Schrei aus. » Das muß ein Irrtum sein. Mein Mann ist doch gerade erst von der ICD im Headquarter verhört worden.«
» Sorry Ma’am, but we got orders to bring him back to Munich. He seems to be such a big shot…« Der MP-Mann holte einen Arrestbefehl
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