Augenblick der Ewigkeit - Roman
war und Ergebenheitsadressen an Hitler verfaßt hatte, bereits wieder auftreten durfte, weil er den Amis weismachen konnte, er als Österreicher wäre mit dem erzwungenen Anschluß seiner Heimat an das Dritte Reich selbst ein Opfer der Hitlerei gewesen. Nun saß er also tatenlos wie ein Sommerfrischler in diesem Gebirgskaff herum, wanderte in den Bergen, wenn er nicht gerade zu Forstarbeiten eingeteilt war, und studierte seine Partituren, während draußen die Weichen für die Nachkriegskarrieren gestellt und Furtwängler, Bruno Walter und Toscanini bereits wieder zu den Salzburger Festspielen eingeladen wurden.
Zum Glück war Neuhaus am Schliersee wieder ans öffentliche Telefonnetz angeschlossen worden, denn so konnte er wenigstens seinen Agenten Krausnik in der Schweiz erreichen, der ihm riet, den Fragebogen so schnell wie möglich auszufüllen. Die Karten würden neu gemischt. Er zum Beispiel habe gerade eine Konzerttournee für Johann Albrecht Gottwalt durch das zerstörte Deutschland organisiert. Karl hatte es fast die Sprache verschlagen. » Ein Emigrant wie Gottwalt bedient sich ausgerechnet Ihrer Agentur, bei Ihrer SS-Vergangenheit?« Daraufhin hatte der Impresario nur gelacht. Was habe denn seine Vergangenheit mit einer effektiven Tourneeorganisation zu tun?
» The English language will prevail, if discrepancies exist between it and the German translation.« So viel Englisch konnte er, um die meisten Fragen zu verstehen, obwohl, bei manchen empfahl es sich, ein englisch-deutsches Wörterbuch zu Rate zu ziehen, das er unten im Bücherschrank seines Schwiegervaters gefunden hatte. » Answers must be type written or printed clearly in block letters.« Er hatte sich von ihm eine alte Olympia ausgeborgt und den Zeileneinsteller außer Kraft gesetzt, so daß er mit dem Walzendrehkopf stufenlos zu den einzelnen Fragen gelangen konnte. Karl legte Kohlepapier zwischen das schmutziggelbe Original und die Durchschläge und zog das Bogenbündel ein. Er hockte in der provisorischen Küche, die zugleich als Badezimmer diente. Gudrun schlief nebenan in dem einzigen Zimmer der Mansarde, die mit Vorhängen in kleinere Sektionen aufgeteilt war, in denen sie zu dritt wohnen, essen und schlafen mußten.
Sie war am Morgen erst nach Hause gekommen. Ein amerikanischer Sergeant hatte nach der Besetzung des Orts bei einer Hausdurchsuchung einige von Gudruns Platten mit Operettenliedern entdeckt und, als er sie abgespielt hatte, darauf bestanden, daß sie unbedingt für ihn und seine Kameraden singen müsse. Seitdem trat sie Abend für Abend im Apollokino auf, das die amerikanische Ortskommandantur in einen Nachtklub umfunktioniert hatte. Mit den Zigaretten, der Erdnußbutter und dem Nescafé, die sie dort organisierte, konnte sie nicht nur ihre kleine Familie, sondern auch ihre Eltern und die Familie ihres Bruders ernähren, der mit Frau und Kindern aus Berlin evakuiert worden war.
Karl streute eine kostbare Prise Nescafé in das kochende Wasser auf dem Kanonenofen und goß das hellbraune Getränk in einen Becher. » Every question must be answered precisely and conscientiously and no space is to be left blank.« Als er die hunderteinunddreißig Fragen zum ersten Mal überflogen hatte, fühlte er sich unbehaglich wie seit seiner Kadettenzeit nicht mehr, als man ihn auch zur Beichte hatte zwingen wollen.
»Omissions or false or incomplete statements are offences against Military Government and will result in prosecution and punishment.« Was der Fragebogen von ihm verlangte, war nichts weniger, als die Wahrheit zu bezeugen, andernfalls er mit empfindlichen Strafen rechnen mußte. Die Amerikaner hatten eine Politik der harten Hand angekündigt, die den Deutschen klarmachen sollte, daß sie besiegt und nicht befreit worden waren. Entnazifizierung und Reeducation zielten allein darauf, sie von ihrer Schuld am Aufstieg des Nationalsozialismus und am Holocaust zu überzeugen.
Vor ein paar Tagen hatten sich alle Erwachsenen des Dorfes auf Befehl des Ortskommandanten im Gemeindesaal versammelt. Die Fenster wurden verdunkelt, und auf einer provisorischen Leinwand wurde ein Stummfilm gezeigt. Malerische Bilder von Bergen und Seen im Salzkammergut waren unterschnitten mit Filmaufnahmen von Leichenbergen und zu Gerippe abgemagerten Überlebenden, die einander stützen mußten, ein Film von Billy Wilder, gedreht im Auftrag der Information Control Division über die Befreiung von Mauthausen. Die kleine Ortschaft lag am linken Ufer der
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