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Augenblick der Ewigkeit - Roman

Titel: Augenblick der Ewigkeit - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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aus seiner Brusttasche und hielt ihn Gudrun hin. Unter der Rubrik » Reason« stand » security thread«.
    Sie fuhren bei Irschenberg auf die Autobahn und hatten sie ganz für sich allein. Es war ein so heißer Sommertag, daß der Teer der Fugen zwischen den Betonplatten der Straßendecke in der Sonne geschmolzen war. Bei Weyarn mußten sie die Autobahn verlassen, weil die Mangfallbrücke noch in Trümmern lag. Von da an fuhren sie durch heile Dörfer, vorbei an Häuserfronten mit frommer Lüftlmalerei und Kirchen, die Zwiebelhauben trugen. Die Wiesen standen hoch, weil niemand da war, sie zu mähen. Der schwache Duft der Gräser mischte sich mit der aufdringlichen Süße des amerikanischen Sprits. Karl saß neben dem Fahrer, während der zweite Militärpolizist auf dem Rücksitz Platz genommen hatte. Er hatte keine Ahnung, wohin sie ihn brachten, und als er sie danach fragte, bekam er keine Antwort.
    Ein ausgebrannter Panzerspähwagen rostete in einem Wassergraben und zeigte mit seiner Fünfzentimeterkanone in den Himmel, und in der Ferne sah er einen amerikanischen Militärflugplatz liegen, mit schimmernden Flugzeugen, ordentlich nebeneinander aufgereiht, über denen Hitzeschwaden schwebten wie treibende Netze, und er fragte sich, ob er jemals wieder fliegen würde– seinen »Flamingo« hatte noch die Wehrmacht requiriert.
    Beim Anblick einer Frau in einem roten Sommerkleid und einem Hamsterrucksack auf dem Rücken, die ihnen vom Straßenrand zuwinkte, fiel ihm auf, wie tot und menschenleer die Landschaft war, in der man allenfalls das Tirilieren einer Lerche hören konnte oder den monotonen Singsang des Zilpzalps in einer Weißdornhecke, wenn der Fahrer eine Pause machte. Die winkende Frau, die auf dem Land nach etwas Eßbarem gesucht hatte, ließ ihn hoffen, daß all das Elend unter der sengenden Sonne des schönen Sommers sechsundvierzig irgendeinen heilvollen Lichtblick barg.
    Über dem zerstörten München wölbte sich ein kupferfarbener Himmel. In der Mittagshitze fuhren sie durch leere Straßen, die die Trümmer der ausgebombten Häuser in etwas zugleich Strahlendes wie Düsteres verwandelte, in etwas Heißes, Trockenes und Staubiges, das Karl an antike Ruinenfelder denken ließ, über die Eidechsen huschten und in denen Tauben nisteten. Sie fuhren in Richtung Hauptbahnhof, vorbei an einem Wittelsbacher hoch zu Roß, der über schmale Trampelpfade durch eine weitläufige Schuttlandschaft ritt, über Geröllhalden, auf denen Kamillensträucher wucherten. Eingestürzte Fassaden gaben den Blick frei auf das Innere der Häuser, auf Wohnzimmer mit Deckenlampen und heruntergerissenen Tapeten, auf Kachelwände, aus denen Wasserrohre ragten, auf Badewannen ohne Wasser und Stiegenhäuser ohne Treppen, als hätte das zornige Riesenkind Glumdalclitch aus Gullivers Reisen seine Wut an seiner Puppenstube ausgelassen.
    Am Riemerschmid-Bau in der Hopfenstraße wurde der Dachstock neu errichtet. Ein Seilaufzug hievte Sparren hinauf aufs Dach, das wie ein umgestülptes Schiffsgerippe in den Himmel ragte. Die Art-déco-Fassade des langgestreckten Gebäudes war übersät mit Einschußlöchern, und die meisten Fenster waren zugemauert. An der überdachten Eingangstür zu dem ehemaligen Reichssender München, den jetzt die Amerikaner als Radio Munich betrieben, kontrollierten zwei GIs Herzogs Papiere. Dann mußte er seinen Bewachern in das oval geschwungene Treppenhaus folgen, in dem ihm Lassally mit ausgebreiteten Armen entgegeneilte, um ihn willkommen zu heißen.
    » I am so sorry, Maestro, aber ohne diese Militäreskorte wäre es mir nie gelungen, Sie heil hierherzuschaffen!« Sein gerötetes Gesicht strahlte vor Wiedersehensfreude. » Kommen Sie, wir haben so viel miteinander zu bereden.«
    Lassally war im Krieg der britischen Entertainment National Service Association, der Truppenbetreuung, zugeteilt worden und hatte in dieser Funktion die kämpfende Truppe mit Musik zu versorgen. Jeder Musiker, ob Klassik oder populäre Musik, der dafür in Frage kam, mußte durch sein Büro im Drury Lane Theatre im Londoner Westend, so daß er mit Ende des Kriegs ein lückenloses Register der besten Musiker des Kontinents besaß, das er jetzt nutzte und ein internationales Orchester, das London Classic Symphony Orchestra, ganz nach seinen Vorstellungen zusammenstellte, um Schallplatten aufzunehmen, so wie es ihm schon immer vorgeschwebt hatte. Was ihm fehlte, war nur noch der herausragende Kopf und charismatische Conductor und dazu ein

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