Augenblick der Ewigkeit - Roman
und sie duckte sich erschrocken. Als sie aufsah, flatterte eine aufgeregte Taube wie der Heilige Geist über ihrem Kopf und äugte im Dämmerlicht des Auditoriums nach einem geeigneten Landeplatz. Lautlos segelte sie hinunter ins Parkett und ließ sich gurrend auf einer Sessellehne nieder. Eine zweite Taube gesellte sich zu ihr, nachdem sie einmal über das ganze Orchester hinweggeflogen war. Eine dritte und vierte Taube flatterte aus der Kuppel herab, bis ein ganzer Schwarm von » Friedenstauben« durch den Konzertsaal schwirrte und sich auf den Brüstungen und den Wandleuchtern niederließ.
Am nächsten Morgen stritten sich militante Tierschützer mit den Demonstranten im Radio und in den Zeitungen. Die einen prangerten die Aktion als Tierquälerei an, die anderen feierten sie als eine gelungene Demonstration. Die Feuilletons berichteten ausführlich und zum wiederholten Mal über Herzogs Karriere im Dritten Reich, insbesondere über seine Funktion als Staatskapellmeister und Lieblingsdirigent von Göring.
Krausnik hatte eine Horrornacht gehabt. Aus Baltimore, Philadelphia und Boston waren alarmierende Nachrichten eingetroffen. Nach dem Boykott des New Yorker Konzerts war die Nachfrage nach Karten plötzlich sprunghaft angestiegen. Doch keiner konnte sagen, ob dort ähnliche Aktionen geplant waren wie hier und die Tournee vielleicht ganz abgesagt werden mußte.
Der Impresario entschloß sich, in die Offensive zu gehen, und bat die New Yorker Journalisten zu einer Pressekonferenz am Nachmittag in den Private Roof Club des Gramercy Park Hotels, wo Herzog und das Orchester für die Dauer ihres New-York-Aufenthalts untergebracht waren. Die Aktivisten der Boykottaktion hatten ihr Ziel erreicht: Herzog mußte sich der Presse stellen.
Der Dachgarten im sechzehnten Stockwerk des Hotels hatte den Charme eines Westernsaloons gepaart mit der Gemütlichkeit eines Wiener Kaffeehauses. In lockeren Gruppen standen die Journalisten der lokalen Rundfunk- und Fernsehanstalten mit zugeknöpften, krawattenlosen weißen Hemden und Hochwasserhosen über den polierten Straßenschuhen an der Bar und diskutierten mit Kollegen der Feuilletons und der Musikzeitschriften die Ereignisse des vergangenen Abends. Sie hatten ihre Mäntel an der Garderobe abgegeben, ihre grauen Hüte mit den rundum hochgebogenen Krempen aber aufbehalten, in deren breiten Bändern die Garderobenmarken steckten. Getränke wurden gereicht. Martinis und Whisky bewirkten, daß der Lärmpegel stieg und alle lauter sprachen, als ihnen bewußt war.
Nervös wie ein Provinzschauspieler, der sein Publikum vor dem Auftritt durch den Schlitz im geschlossenen Vorhang fixiert, um sein Lampenfieber in den Griff zu kriegen, beobachtete Krausnik durch das Bullauge einer Küchentür, wie der Konferenzraum sich langsam füllte. » O là, là…da kommt ja sogar Mr. Walker! Ich frage mich nur, was Mr. Walker auf unserer Pressekonferenz verloren hat?«
» Kann Mr. Walker uns gefährlich werden?« Im Gegensatz zu seinem Agenten stand Herzog eher gleichmütig an der Anrichte und schlürfte Kaffee.
» Einer der mächtigsten Männer im klassischen Musikmanagements der Ostküste. Seine Konzertagentur ist unser stärkster Konkurrent.«
» Was ich Ihnen sage, Presse und geschäftliches Interesse stekken, wie so oft, unter einer Decke. Wir sind für die nur Wilderer, selbst wenn sie uns zum Halali geladen haben. Konkurrenzneid ist der eigentliche Grund für ihre sogenannte moralische Entrüstung.«
Herzog wirkte gelassener als am Abend zuvor. Die unvorhergesehene Begegnung mit Franziska hatte ihn so aufgewühlt, daß er die Pressekonferenz wie eine lästige Pflicht empfand. Wie gerne hätte er sich hinterher mit ihr getroffen. Noch vor dem Ende des Konzerts hatte sie den Saal bereits verlassen. Als er sie auch am Bühneneingang nicht antraf, wie seinerzeit in Brünn, wo sie auf ihn gewartet hatte, beschloß er, das Land nicht eher zu verlassen, bevor er nicht mit ihr geredet hatte. Die Tatsache, daß sie überhaupt zu seinem Konzert gekommen war, ließ ihn hoffen.
Krausnik deutete auf einen Mann mit stark vergrößerten Augen hinter einer dicken Brille. » Das ist Bob Jackson, Kritiker der New York Times …«
» Na Servus! Ich habe seinen brillanten Hetzkommentar bereits am Frühstückstisch gelesen! Seine Augen schießen förmlich durch den Raum, als suchten sie den Feind.«
» …und der sich mit dem Finger die Pfeife stopft, ist Heilbronner von der NBC, Head of Department of
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