Augenblick der Ewigkeit - Roman
er zog auf seine fischige Weise die Lippen ein, als ob es etwas zu schnappen gäbe, » …sehen Sie doch, da drüben…« Er deutete auf einen schmalen Mann, der am anderen Ende des Saloons hinter einer Säule hervorgetreten war. Auf dem scharfen Rücken seiner Nase saß eine Goldrandbrille, und sein Kopf war von einem grauen Pelzchen kurzgeschorener Haare überzogen.
» Mein Name ist Joseph Steinberg. Ich bin amerikanischer Staatsbürger. Einige von Ihnen werden mich kennen…« Seit Steinberg an der Met den Belmonte und den Tamino sang, in Broadway-Musicals auftrat und im Kinderprogramm der ABC eine eigene Fernsehsendung moderierte, die den Kids auf populäre Weise das klassische Opernrepertoire näherbrachte, lagen ihm die New Yorker zu Füßen. Deswegen erhoben sich auch die meisten der Anwesenden, um dem Tenor zu applaudieren.
» Danke, Gentlemen, aber ich bin nicht hier, um Arien zu singen, sondern für den Mann dort auf dem Podium zu sprechen…« Er deutete auf Herzog, der nicht wagte aufzuschauen. » …der als Botschafter der deutsch-amerikanischen Freundschaft von uns eingeladen worden ist und den man nun durch Boykottaufrufe und Pressekampagnen wieder vertreiben will. Das finde ich nicht gerade gastfreundlich…«
Ein erstauntes Murmeln ging durch den Saloon, denn jeder wußte, daß doch Steinberg vor den Nazis fliehen und somit gute Gründe gegen einen wie Herzog haben mußte. » …deshalb ist es mir wichtig, daß die amerikanische Öffentlichkeit erfährt, wie sich Mr. Herzog damals für mich eingesetzt und mir zur Flucht verholfen hat.«
Mit einem Mal war es sehr still in dem Saloon geworden. Herzog war zutiefst bewegt, daß Steinberg zu der Pressekonferenz erschienen war, aber wollte er, daß er ihnen das erzählte? Unmerklich schüttelte er den Kopf, als sich ihre Blicke trafen. Die Journalisten jedoch reckten neugierig die Hälse und hielten Steinberg ihre Mikrofone hin. Alle warteten gespannt, sein Statement zu hören.
Doch Mr. Walker, der Konzertagent, sorgte dann für den Eklat, daß es dazu nicht mehr kam. In der kleinen Pause, die entstanden war, war er geistesgegenwärtig aufs Podium gesprungen und hatte sich des Mikrofons bemächtigt. » Mr. Steinberg, Sir– wieviel hat Ihnen das K’NICK Artist Management für Ihren Auftritt hier geboten, um Mr. Herzogs Kopf zu retten?«
Stockbridge – 1954
Es war schon Nacht, als das Taxi vor dem ehemaligen Farmhaus parkte. Es stand zurückgesetzt auf einem Hügel, umgeben von Dutzenden von Apfelbäumen, in denen Lampions hingen. Mit seinen Giebeln und spitzen Türmchen hob es sich vor dem Sternenhimmel ab wie der Schattenriß eines Geisterhauses. Die grauen Schindeln und die weiße Holzfassade schimmerten in der Dunkelheit, und aus den hell erleuchteten Fenstern im Erdgeschoß drang der Jubel-Trubel einer Party. Einige der Gäste standen mit ihren Drinks auf der überdachten Veranda, die mit Lichterketten geschmückt war wie Häuser in New England sonst zur Weihnachtszeit. Bevor er ausstieg, vergewisserte Karl sich noch einmal der Adresse auf dem Zettel, den ihm Steinberg mit den Worten überreichte: » Bedank dich nicht bei mir. Sie hat mich dazu überredet.«
Es war eine schwüler Abend. Jemand spielte einen Boogie-Woogie, der ihn an die Tanzweise seines Vaters erinnerte, nur daß der Jemand sie als Blues mit ostinaten Baßfiguren und einem starken Offbeat spielte.
Karl bat den Taxifahrer zu warten. Durch das Fliegengitter in der offenen Verandatür konnte er ins Innere spähen, ohne selbst gesehen zu werde. Am Flügel saß Franziska und hämmerte in die Tasten, während eine rothaarige junge Dame mit wippendem Pferdeschwanz, ausladendem Petticoat, kurzen Ringelsöckchen und braun-weißen Saddleshoes, von einer Schar junger Leute angefeuert, mit ihrer gleicherweise gekleideten und ebenso rothaarigen Zwillingsschwester einen Jitterbug tanzte. Es fiel ihm nicht schwer, in den beiden jungen Damen jene Gottwalt-Zwillinge wiederzuerkennen, Anna und Sophie, die er zum letzten Mal gesehen hatte, als sie sechs Jahre alt waren. Die Partygäste waren so mit sich selbst beschäftigt, daß er unmöglich hereinplatzen und sie stören konnte. Vorsichtig zog er sich zurück und ließ sich von dem Taxi zurück in sein Hotel fahren.
Mit Hilfe Steinbergs war es ihm gelungen, Franziska aufzuspüren. Aber er ließ sich Zeit und wartete auf eine günstigere Gelegenheit. Es durfte keinesfalls so aussehen, daß er ihr auflauerte, so wenig, wie er einfach bei ihr
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