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Augenblick der Ewigkeit - Roman

Titel: Augenblick der Ewigkeit - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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bin!« Er hatte ihr den Rücken zugedreht, und seine Stimme überschlug sich fast. » Ich weigere mich, vor einem leeren Haus zu spielen!« Zitternd vor Erregung und Wut, beugte er sich, die Fäuste aufgestützt, über den Schreibtisch des Managers. » Ich laß mich doch nicht zum Popanz dieser Leute machen!«
    Sechzehn Jahre war es her, daß sie Karl zum letzten Mal gesehen hatte. Er sah älter aus als auf den Fotos, die neuerdings auf seinen Plattencovers prangten und die ihn, wie es Mode geworden war, nicht im Konzertsaal zeigten, im tadellosen Frack, sondern im Sweatshirt und mit einem Handtuch über den Schultern, wie zum Beweis, daß Dirigieren Schwerstarbeit war.
    » Aber, Maestro, der Saal ist ausverkauft…« Sie konnte Krausnik durch den Türspalt nicht sehen, aber sie erkannte ihn an seiner kehligen Sprechweise, die sie nie vergessen hatte, seitdem sie sie im Stiegenhaus der Semperoper gehört hatte. » …irgendwelche Organisationen müssen alle Karte aufgekauft haben. Jeder einzelne Sessel ist bezahlt. Bei zweitausendachthundert Plätzen macht das mehr als sechzigtausend Dollar– das sind fast eine Viertelmillion Schweizer Franken.« Seine Stimme klang panisch. » Wollen Sie, daß ich bankrott gehe?«
    » Wie es aussieht, Gentlemen, haben diese Kartenkäufer ein Anrecht auf das Konzert, selbst wenn sie nicht höchstselbst erschienen sind.« Das war die Stimme von Mr. Simon jr. » Sie müssen sich also langsam an den Gedanken gewöhnen, heute abend vor einem leeren Haus zu spielen. Also, Mr. Herzog, vielleicht sollten Sie sich jetzt auch aufs Podium begeben.« Damit öffnete er die Tapetentür, und Karl stand plötzlich vor ihr. Sie taumelte und mußte sich an der Brüstung festhalten.
    » Fränzchen, du…?«
    In ihrer Bestürzung wußte sie nicht gleich, was sie antworten sollte. » Ja, ich…« Sie nickte mit dem Kopf, wie um die simple Feststellung zu bekräftigen, tatsächlich sie selbst zu sein. Sie schlug verwirrt die Augen nieder und brachte keinen Ton heraus. Sie hörte Karl das Stiegenhaus hinunterrennen, » …warte! Geh nicht weg. Bleib wenigstens du…«, hörte eine Tür schlagen und dann, nach einer Weile, sah sie, wie er würdevoll das Konzertpodium betrat und sich an sein Orchester wandte. » Meine Herren, wir spielen heute abend ganz allein für einen lieben Menschen, den ich verloren glaubte und gerade wiedergefunden habe. Das ist also keine Probe. Ich verlange von Ihnen äußerste Hingabe und vollen Einsatz. Zeigen Sie ihr, wie gut Sie sind!«
    Auf seine Geste hin erhob sich das Orchester in stummer Ehrerbietung von den Stühlen, und Karl verbeugte sich vor dem leeren Saal, wobei er zu Franziska hinaufblickte. Mit stolzem Staunen registrierte sie das rote Seidenschleifchen, das an seinem Frackrevers befestigt war. Sie schlug die Hände vors Gesicht und wußte nicht, ob sie weinen oder lachen sollte. Die Situation erschien ihr wie ein absurder Traum– das Licht, das langsam heruntergefahren wurde, der leere Saal, die Musiker auf dem Podium, bereit, für sie zu spielen.
    Dann sah sie Karl mit dem Konzertmeister flüstern– wohl eine Bitte, die in Windeseile durchs ganze Orchester getragen wurde, denn als der Einsatz kam, erklang der Hochzeitsmarsch aus dem Figaro . Franziskas Augen füllten sich mit Tränen, und das Orchester auf dem Podium verschwamm zu einem dunklen Fleck, vor den sich ein mystischer Vorhang schob. Etwas Blinkendes und Raschelndes war von seiner durchsichtigen Textur verborgen, und als er hochgezogen wurde, gab er den Blick frei auf einen festlichen Saal mit hohen Säulen. Ein kleines Rokokoorchester spielte darin mit silbernen Perücken, und ein Kapellmeister in einem roten Samtmäntelchen und einer Brokatweste schlug den Takt mit einem Stab aus Ebenholz.
    Verzaubert von der Musik und dem geheimnisvollen Geschehen auf der Bühne, sehnte sie sich nach dem Zederngeruch in der Bibliothek in Donnerskirchen, dem Bienensummen im Garten und danach, wie der Regen roch, wenn er auf die heißen Sandsteinplatten der Terrasse fiel, nach den Düften, die aus Bertas Küche drangen, und dem Geschmack von sonnenwarmen Himbeeren, die sie von den Sträuchern unter dem Fenster des Arbeitszimmers ihres Vaters zupfte, während sie seiner Stimme lauschte, die drinnen die Korrespondenz diktierte. Ach– wie lange war das her, daß sie ihre Kinderwelt verloren hatte, die sie so schmerzlich in Erinnerung bewahrte und die sie bitterlich vermißte.
    Da streifte ein Schatten ihr Gesichtsfeld,

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