Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Augenblick der Ewigkeit - Roman

Titel: Augenblick der Ewigkeit - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
Vom Netzwerk:
hatte das rote Seidenbändchen, worum er sie gebeten hatte, unter Manschettenknöpfen und Ehrennadeln in einer Schatulle im Schrank gefunden, und als sie sah, daß er eingeschlafen war, wollte sie ihn deswegen nicht stören. Sie holte den Frack aus dem Kleiderschrank, befestigte es am Revers und legte Hemd und Fliege zurecht. Es gehörte zu ihren Obliegenheiten, dafür zu sorgen, daß sein Dirigentenhabit stets à jour war. Doch an diesem Tag war sie nicht bei der Sache. Sie mußte immer wieder an die Videoaufzeichnung denken, die Cosmo ihr am Abend zuvor gezeigt hatte. Die Kleiderbürste glitt ihr aus der Hand, und als sie sich bückte, um sie aufzuheben, begegnete sie ihrem Gesicht ganz nah im mannshohen Spiegel des Kleiderschranks, und sie sah, daß sich die Sorge darin eingenistet hatte.
    Einige Minuten blieb sie einfach hocken, als ob sie auf etwas warten würde. Dann packte sie plötzlich ein Grauen, das radikaler war als die Angst, Karl könnte sterben und sie stünde allein auf der Welt. Sie legte sich auf den Boden, bedeckte ihr Gesicht mit beiden Händen und blieb regungslos liegen. Sie war erst Mitte vierzig, und ihr graute, sie könnte das Leben verpaßt und ihr Talent vergeudet haben. Nach einer Weile beruhigte sie sich. Das Grauen wich, und ihr Verstand gewann wieder die Oberhand. Denn letzten Endes war sie es gewesen, die sich dereinst geschworen hatte, jene Katastrophe, die sie mitverschuldet hatte, wiedergutzumachen, und solange durfte nie auch nur der geringste Zweifel daran aufkommen, warum sie Karl in all den Jahre treu zur Seite gestanden und keine eigene Karriere gemacht hatte. Sie richtete sich auf, und während sie fortfuhr, die Frackjacke auszubürsten, dachte sie: »D as alles kommt mir wie in einem Alptraum vor.«
    Sie schämte sich, wenn sie in solchen Augenblicken daran zweifelte, ob es richtig gewesen war, einen so viel älteren Mann zu heiraten. Doch diese Entscheidung hatte nicht sie, sondern eine höhere Instanz getroffen. Zorn war mit im Spiel gewesen und verletzte Eitelkeit, die sich zu guter Letzt in Zuneigung und Liebe verwandelt hatten.
    Marias Mutter mißbilligte die Verbindung ihrer Tochter zu dem älteren Dirigenten, der auch noch verheiratet war, egal, wie berühmt, reich und mächtig er auch sein mochte. Sie hatte sie gewarnt: Männer wie Herzog würden niemals ihre Fähigkeiten und Begabung fördern. Im Gegenteil: Immer bloß »I ch habe dies gemacht, ich mache jetzt das π ′ ανταμο υ , εγ ω ′ , εγ ω ′ ‹, und er würde alles unternehmen, ihre eigene Karriere zu verhindern. Maria hatte wenig Lust, auf ihre Mutter zu hören, auch nicht, als sie ihr hinrieb, wenn junge Frauen ältere Männer liebten, wollten sie doch nur mit ihren Vätern ins Bett.
    » Na und – dann liebe ich eben ältere Männer. Sie können so herrliche Gauner sein, weil sie nichts zu verlieren haben!« Sie hatte es ihrer Mutter nie verziehen, daß sie sich von ihrem Vater getrennt hatte, als sie Anfang der fünfziger Jahre als Gastarbeiterin nach Ludwigshafen ging. Erst hier, in der Fremde, hatte sie ihren αγαπη μ ′ ευο papa so bitterlich vermißt, daß sie sich in ihrer kindlichen Vorstellungswelt ein adäquates Ideal erträumte, das jenem graumelierten, eleganten Herrn mit Schnurrbart glich, der ihr mit einem Sektkelch in der Hand aus einer Henkel-Trocken-Reklame zuprostete. Aus Frau im Spiegel hatte sie sein Schwarzweißmedaillon ausgeschnitten und in ihr Poesiealbum geklebt.
    Bei aller Flowerpower und der antiautoritären Aufbruchsstimmung jener Jahre mit ihren Sit-ins und dem Protestgehabe an den Unis war sie bei der Wahl ihrer Liebhaber eher zurückhaltend und konservativ und sehnte sich im Grunde weniger nach Sex als nach Geborgenheit. Billy Wilders Filmkomödie Ariane – Liebe am Nachmittag, in dem die grazile Audrey Hepburn den sehr viel älteren Gary Cooper erobert, hatte sie in jenen Jahren bestimmt ein dutzendmal gesehen. Sie kleidete sich wie sie, mit weiten, wippenden Röcken oder knöchellangen Hosen, trug viel zu große Sonnenbrillen und flache Ballerinaschuhe und auf dem Kopf ein Nickytuch, statt im Parka und mit einer karierten Kufija herumzulaufen.
    Vielleicht weil sie als Tochter einer griechischen Gastarbeiterin von ihren Mitmenschen als fremd und anders wahrgenommen wurde, entwickelte sie den Ehrgeiz, immer zu den Besten zu gehören, ohne jedoch als Streberin zu gelten. Einige hielten sie für ein kleines Luder, manche für ein Wunderkind, doch für

Weitere Kostenlose Bücher