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Augenblick der Ewigkeit - Roman

Titel: Augenblick der Ewigkeit - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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gleich auffalle, daß sie eine so junge, attraktive Dame sei. Er redete sehr leise mit seiner raunenden Stimme und streichelte mit seinen Samtaugen ihre bronzefarbenen Beine, die wundersam lang aus ihrem Minirock lugten.
    Sie überlegte, ob sie für sein Entgegenkommen Vorschuß leisten und ihm anschließend erlauben musste, sie zum Abendessen einzuladen. Weder noch erklärte er ihr auf ihr verschämtes Angebot, seit seiner Pubertät fühle er sich ausschließlich zu hübschen Knaben hingezogen, und schlug die Augen taktvoll nieder.Als Maria anderntags erneut die Musikschule betrat, klingelte es gerade zur Pause. Die Türen der Unterrichtsräume wurden aufgerissen, und der Korridor füllte sich mit dem heiteren Palaver der Seminaristen aus aller Welt.
    Maria mußte vor dem Direktionszimmer auf den Assistenten warten und versuchte, burschikos zu wirken, indem sie einen Fuß mit angewinkeltem Knie gegen die makellose Vertäfelung der Wand stemmte und sich ungeniert mit einem Streichholz die Fingernägel reinigte. Sie hatte seinen Rat befolgt und sich die Haare zu einer kompromißlosen Bubenfrisur schneiden lassen, ihre kleinen Brüste in ein viel zu enges Mieder gezwängt, ein weißes Herrenhemd darübergezogen und war in ein schlabberiges Hosenpaar geschlüpft, um ihre Figur zu verbergen.
    Als Cosmo endlich aus dem Zimmer trat, machte er ihr ein unauffälliges Zeichen, ihm zu folgen. In einem kleinen Konzertsaal warteten bereits mehr als ein Dutzend Kandidaten. Maria mußte draußen bleiben, bis Herzog Cosmos Liste mit den Kandidaten studiert hatte. Erst als er aufblickte und ihr zunickte, war sie zugelassen.
    Das Probedirigieren dauerte den ganzen Nachmittag, und da Marias Name ganz am Ende der Liste stand, hatte sie das Privileg, Herzogs pädagogisches Repertoire in voller Länge auszukosten. » Die Sprache des Dirigenten ist der Schlag; Sechserschlag, Siebenerschlag, unterteilter Dreier, schneller Achterschlag und so fort. Toscanini hat gesagt, jeder Esel kann den Takt schlagen– aber Musik damit zu machen, könnten die wenigsten. Der Schlag dient der Darstellung des Tempos. Furtwängler hat gesagt, es kann immer nur ein richtiges Tempo geben, und das bestimmte der Dirigent. Das ist seine Kunst. Mit einem Schlag läßt er aus dem Nichts Musik entstehen. Weder folgt er dem Musikfluß, noch begleitet er ihn nur. Er ist ihm stets einen Wimpernschlag voraus. Er ist kein Musikdarsteller, bei dem der Eindruck entsteht, daß seine Person die des Komponisten überdeckt und dessen Schöpfung nur als Hintergrund für seine Selbstdarstellung dient. Er ist der Sachwalter des Komponisten, der bewußt versucht, sich hinter dessen Werk zu stellen.«
    Dann ließ er Partiturkopien der C-Dur-Symphonie Nr. 34 verteilen, die an jenem Nachmittag auf seinem Lehrplan stand. » Es gibt nichts Herausfordernderes auf der Welt, als acht Takte Mozart zu dirigieren– schwerer als achtzig Takte Schönberg. Je einfacher die Musik an der Oberfläche zu sein scheint, desto schwieriger ist es, ihre innere Wahrheit herauszufinden, die Noblesse der Mozartschen Geste, die alles Gemeine, Gekünstelte und Gequälte ins Wesenlose schiebt. Erst dann entsteht jener idealistische überexpressive Mozart-Klang, der nicht einmal besonders virtuos sein muß und den ich von Ihnen jetzt zu hören wünsche.«
    Dann rief er einen nach dem anderen aufs Podium. Wenn der Kandidat ein Schaumschläger war, der sich auf Kosten des Orchesters in Szene setzen wollte, konnte er beißend sein und voller Spott. » Sie stehen da wie ein Fünfjähriger, der dem Weihnachtsmann ein Gedicht aufsagen soll! Warum zittern Sie denn so? Sind Sie etwa Alkoholiker? Halten Sie die Hände ruhig. Wenn Sie an Ihre Hände denken, verschwindet die Musik. Also bitte eins, zwei und uno, due, tre!« Und so weiter.
    Wenn einem die Musik aus dem Ruder zu laufen drohte, rief er laut: » Was reißen Sie die Arme denn bei jedem Schlag nach oben? Hier vorne ist der Klang, auf der Dirigierebene. Da oben spielt kein Schwein. Da oben schwebt nur eine sechsgestrichene Oktav!« Keiner lachte. Alle saßen wie erstarrt auf ihren Stühlchen und blickten sich verschüchtert an, wer wohl als nächster das Schafott betreten mußte.
    Als letzte kam Maria an die Reihe. Ohne Anzeichen von Nervosität stieg sie aufs Podium und blätterte die Partitur zurück. Nach allem, was sie den Nachmittag über mitbekommen hatte, ahnte sie, worauf der Maestro aus war. Sie gab den Einsatz, und das Fanfarenmotiv, mit dem das

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