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Augenblick der Ewigkeit - Roman

Titel: Augenblick der Ewigkeit - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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Eichenwälder rund um Stockbridge bald aussahen wie eine bunte Patchworkdecke. Karl schickte Gudrun und den Kindern ein Telegramm, daß er in den Staaten bleiben müsse, bis er sein Werk beendet habe.
    » Odysseus meldet sich bei Penelope – und vergiß nicht, deinen Teppich aufzutrennen!« Franziska hütete sich davor, noch einmal ihr Herz an ihn zu verlieren. Für sie beide konnte es keine Zukunft geben, und seine einsiedlerische Existenz als Komponist in Stockbridge würde auch nicht ewig dauern. Sie machte sich keine Illusionen. Sie nahm bei ihren Architektenpartnern Urlaub, um genügend Zeit für ihn zu haben, und genoß es, an seiner Seite in den Tag hinein zu leben, ohne an die Zukunft zu denken.
    Die Tage unter dem tiefblauen Himmel Massachusetts waren immer noch sehr warm, doch in den Nächten wurde es schon so kalt, daß an manchen Morgen Rauhreif auf den Wiesen lag. Als der Indian Summer seinen Höhepunkt erreichte hatte, charterte Karl am Flughafen von Worcester eine Bird-Dog-Cessna. An manchen Tagen flogen sie bis nach Vermont, wo die Wälder im herbstlichen Farbenspiel glühten, und die roten Farmen mit ihren metallenen Doppelsilos leuchteten wie brennende Feuerwehrstationen. Sie landeten auf abgemähten Wiesen zwischen schwarzweißen Holsteiner Kühen und kauften für ein paar Pennys den Farmern Kürbisse und Äpfel ab, die Franziska zu Marmelade einkochte, während er an seiner Partitur arbeitete. Sie interessierten sich für nichts, was außerhalb ihrer Welt geschah, und Franziska kam es vor, als hätte » der schöne Sommer zweiundzwanzig« im » bunten Indian Summer vierundfünfzig« seine Fortsetzung gefunden.
    Eines Abends, als sie von einem ihrer Ausflüge nach Hause kamen, fand Franziska ein Telegramm in ihrem Briefkasten. » Von deinem Krausnik…« Sie hatte den Konzertagenten nie ausstehen können!
    Karl riß den Umschlag auf. » Furtwängler ist tot …« Er brauchte keine Sekunde, um die Tragweiter der Nachricht zu erfassen. » Ich muß nach Berlin zurück. Hier, lies, was Krausnik schreibt…« Er hielt ihr das Telegramm hin, und Franziska las: »Res severa verum gaudium – erst wenn es ernst wird, macht es richtig Spaß. Was meint er damit?«
    »Eine Losung von früher. Er bringt mich als seinen Nachfolger ins Spiel. Komm mit Franziska, nach Berlin!«
    » Drüben in der Alten Welt habe ich nichts mehr zu suchen, weil ich dort alles schon verloren habe.«
    » Drüben werden die Karten neu gemischt. Doch dieses Mal zu meinen Bedingungen.«
    » Und deine Arbeit hier. Was ist mit deiner Musik? Willst du das alles aufgeben? Wofür…«
    » …die Berliner Philharmoniker auf Lebenszeit! Ich weiß, sie wollen mich! Ich kann sie nicht im Stich lassen.«
    » Dann also bleib am Ball, wenn du Tore schießen willst!« Diesmal würde sie nicht versuchen, ihn zurückzuhalten. » Manchmal, wenn ich dich beim Komponieren beobachtet habe, bist du mir vorgekommen wie ein Raubtier, das sein Opfer tagelang beobachtet und jedes seiner Bewegungen studiert hat, um im entscheidenden Moment der Schwäche zuzuschlagen.«
    Bevor er abreiste, setzte er sich an den Küchentisch und schrieb mit roter Tinte den Titel auf die Partitur. » Du sollst sie für mich aufbewahren, Fränzchen, als Pfand, damit ich eines Tages wiederkomme. Verzeih mir und weine nicht…«
    » Ich weine nicht. Nicht um mich und nicht um dich. Leb wohl, mein Karel!« Sie wußte, er hatte keine Wahl, denn er war weder stark noch schlecht genug, um wählen zu können. Und sie, sie hatte kein Recht, ihn für sich allein zu wollen. Wer sich, wie er, so danach sehnt, Liebling der ganzen Welt zu sein, der hat die Pflicht zu absoluter Selbstsucht. » Du bist vielleicht ein großer Mann in deiner Kunst, nicht aber, wenn es um das wirkliche Leben und die Liebe geht.«

New York – Freitag, 6 p.m.
    Danach habe ich Ihren Vater nie mehr wiedergesehen. Als ich in den Zeitungen las, daß die Berliner Philharmoniker statt seiner Karajan zu ihrem Chef gewählt hatten, hat er mir irgendwie leid getan. Krausnik hatte wohl seinen Einfluß überschätzt.«
    » Mein Vater ist über diese Kränkung nie hinweggekommen, auch wenn er stets das Gegenteil behauptet hat. Seit dieser Zeit hat er nie wieder in Berlin dirigiert.«
    Ein unsichtbarer Lautsprecher in der Decke des Warteraums verkündete, die Sechs-Uhr-zwanzig-Air-France-Maschine nach Paris stünde nunmehr an Gate 12 bereit. Eine heitere Parade von Passagieren machte sich mit ihrem Bordgepäck auf, um

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