Augenblick der Ewigkeit - Roman
an. Doch er lehnte alle Angebote ab, um sich ganz seiner Komposition zu widmen. Sie verlangte große Konzentration, zumal er gegen jene heftigen Selbstzweifel ankämpfen mußte, die ihn bei dem Versuch, für Pawel Sixta ein Requiem zu schreiben, noch scheitern ließen.
Franziska war beeindruckt, wie zäh und konsequent er nach einer eigenen Sprache für sein Vorhaben suchte und sie schließlich in den seltenen lydischen Kirchentonarten des Mittelalters fand. Endlich konnte er die Gefühle, die er als Sechsjähriger im Kuhländchen beim Tod seines Vaters empfunden hatte, musikalisch ausdrücken und in Noten fassen. Als er ihr den rondoartigen Beginn des ersten Satzes auf dem Klavier vorspielte, der als musikalische Reminiszenz an jenen Sommertag gedacht war, an dem sie sich zum ersten Mal begegnet waren, schwelgten sie binnen kurzem in Erinnerungen. Der Bann zwischen ihnen war gebrochen, und nach einiger Zeit stellte sich auch die alte Vertrautheit wieder ein.
An diesem Abend saßen sie auf derPorch bei einem Drink, und Franziska las ihm aus einem Artikel im National Geographic vor. » …die Monatsnamen des Haabkalenders der Mayas heißen Pop, Xul, Zodz, Zac, Pax, Cumku, Kankin, Zip, Zec, Zac und Uayeb, was soviel bedeutet wie › Namenlos‹, da der Monat nur fünf Tage hat. Jeder Tag davon ist ein Unglückstag.«
» …der Zodz ist gekommen, die Bäume schlagen aus…«, wie alberne Kinder bekamen sie Lachanfälle, » …im Popen der Bauer die Rößlein einspannt!«
Karl beugte sich über Franziskas Hand und küßte sie galant. » Sehr geehrte Miss Wertheimer, vielen Dank für Ihren Allerwertesten vom dritten Cumku dieses Jahres…«
War es absichtlich oder unabsichtlich, sie hatte sich nicht dagegen gewehrt, und ihre Fingerspitzen streichelten sein Kinn gedankenverloren wie die Schnauze eines Hundes. Als er sie zu sich ziehen wollte, spürte er ihren Widerstand, den er geduldig überwand, bis ihr Gesicht so nahe vor dem seinen war, daß beide schielen mußten und ihre Lippen sich berührten. Doch Franziskas Lippen blieben hart und fest verschlossen. Er zuckte zurück, als hätte er eine unausgesprochene Grenze überschritten, ein Tabu gebrochen. Sie riß sich los, rannte die Treppe hinauf und schloß sich in ihrem Schlafzimmer ein.
Der bunte Schimmer einer Lichterkette in den Apfelbäumen sickerte durch ihr offenes Fenster. Aus dem Garten erklang Radiomusik. Benny Goodman und sein Orchester spielten » How High the Moon« und anschließend » Stompin’ in the Savoy«und verbreiteten in der Dunkelheit ihres Schlafzimmers so viel gute Laune, daß all ihr Ärger im Nu verflogen war. Franziska setzte sich aufs Bett und wischte sich die Tränen. Sie hatte sich benommen wie ein dummes Huhn.
Draußen hatte es zu regnen angefangen. Das Regengeräusch auf dem Dach ließ sie vor Wohlbehagen schaudern, so daß sie noch eine Weile wartete, bis sie den weißen Vorhang vorsichtig beiseiteschob und in den Garten blickte.
Karl tanzte splitternackt unter den Apfelbäumen. Wie ein Medizinmann stampfte er im strömenden Regen zum Rhythmus der Musik, beugte sich tief hinunter, richtete sich auf und warf den Kopf zurück, sprang mit beiden Beinen hoch, ließ die Haare wehen und schleuderte die Arme wie Dreschflegel durch die Luft, so wie er es ihr in seinem Scheunenversteck in Donnerskirchen vorgemacht hatte, wenn er sein Idol Doktor Wilhelm imitierte. Er kam ihr vor wie der übermütige Junge von damals, dem sie nie lange böse sein konnte und dem sie doch schon längst vergeben hatte. Sie zog den Vorhang auf und lehnte sich aus dem Fenster, so daß er sie bemerkte und ihr zuwinkte, doch wieder runterzukommen.
Er hatte die Hose übergestreift, die Haare klebten an der Stirn, und sein Oberkörper glänzte vor Nässe. Benny Goodman spielte » In the Mood«, und Karl tanzte mit nackten Füßen, ausgestreckten Armen und schnipsenden Fingern über die Veranda. Franziska lehnte in der Tür und schaute ihm zu dabei. Dann wiegte auch sie sich zum Rhythmus der Musik, und beide begannen, sich im Kreis zu drehen. Plötzlich streckte sie in huschender Unruhe ihre Hände nach ihm aus, suchte blind die seinen und umklammerte, wie aus einem kindlichen Trieb heraus, seine schnipsenden Daumen. An seinen Daumen steuerte sie ihn ins Haus hinein, während vor der Veranda ein Wolkenbruch niederging.
Im Indian Summer färbten sich die Blätter gelb und orange, scharlachrot und violett, braun, ocker- und olivenfarben, so daß die Ahorn- und
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