Augenblick der Ewigkeit - Roman
Rechenschaft schuldig, Victor.«
» Du hast dich verleugnen lassen, weil du zu feige warst, es mir persönlich ins Gesicht zu sagen! Seit Wochen versuche ich, dich deswegen zu erreichen. Aber jedesmal höre ich von deinem Zerberus, nein, heute nicht, aber morgen vielleicht. Nein, nicht in dieser Woche, der Maestro ist im Augenblick ganz außerordentlich beschäftigt…«
» Das entspricht ja auch den Tatsachen!«
» …was meinst du, wie ich mir vorkomme. Wie ein lästiger Bittsteller, der von einem Domestiken abserviert wird!«
Eine peinliche Pause entstand, in der Maria aufgestanden war. » Entschuldigen Sie mich, ich möchte nicht stören. Ich nehme an, Sie beide haben ein ernsthaftes Problem miteinander zu besprechen.«
» Aber nein, Maria. Bitte, bleib doch sitzen. Wir sind schon fertig. Ich glaube, Mr. Lassally will auch schon gehen. Nicht wahr, Victor…«
» Ja, wir beide sind miteinander fertig! Entschuldigen Sie, Miss Ratazzi, daß ich Sie mit dieser unerfreulichen Geschichte belästigt habe. Aber in meiner Unschuld habe ich immer darauf vertraut, unter Freunden gilt das gesprochene Wort…«
In seinem Gesicht begann es heftig zu zucken, als wären Bilder aus einem Film herausgeschnitten. In einer Aufwallung, die ihn nach vorne schleuderte, brach er plötzlich in Tränen aus. Sein großer Körper bebte, und sein Schluchzen war mit lauten Seufzern durchwoben, die wie das Zischen einer Dampfpresse klangen. Nach einiger Zeit beruhigte er sich und schneuzte seine klobige Nase in ein Taschentuch. » Entschuldigen Sie, Miss. Aber Sie können nicht wissen, was dieser Mann für mich bedeutet hat, für den ich alles getan habe…« Er stand auf. Seine Hand zitterte, mit der er auf Herzog deutete. » …und der mich jetzt aus schnöder Selbstsucht abserviert. Undankbarkeit ist die Tochter der Überheblichkeit. Wer sich so als Nabel der Welt begreift, muß sich nicht wundern, wenn er am Ende ganz allein dasteht.«
Saint-Tropez – Sommer 1973
Selbst wenn sie gelegentlich mit Joachim geschlafen hatte, gab ihm das kein Recht, sie als sein eigen zu betrachten, und doch kam sie sich vor wie eine Ehebrecherin. » Wenn es stimmt, was du im Dorchester gesagt hast, dann hat der alte König Marke soeben seinen Sohn betrogen.« Sie hockten nackt in ihrer Kuhle, und zogen sich die T-Shirts wieder über den Kopf.
Über der menschenleeren Bucht erstreckte sich ein schmales Dünengelände mit einem verwirrenden Labyrinth verwilderter Pfade, die zu unzähligen Sandkuhlen führten.
» Du meinst Joachim? Wie kommst du denn darauf?« Karl stand auf, knöpfte sich die Hose zu und äugte vorsichtig über den Rand der Düne, ob auch keiner sie beobachtet haben könnte.
Verschmitzt gab sie ihm einen Kuß. » Hast du mich in London nicht als deine zukünftige Schwiegertochter vorgestellt?« Als er die Gelegenheit im Dorchester nicht ausgenutzt, sondern sich wie ein Gentleman verhalten hatte, wußte sie, daß sie kein flüchtiges Abenteuer für ihn war. Und auch sie brauchte nicht erst mit ihm geschlafen zu haben, um zu wissen, daß sie ihn liebte. Eigentlich hatte sie es von Anfang an gewußt. Auf dem Rückflug, in dreitausend Metern Höhe über dem Ärmelkanal, hatte sie es ihm gesagt, und er hatte daraufhin zu einem Looping angesetzt, der ihr schier die Sinne raubte.
» Wenn man es so sehen will? Ich, der alte König Marke also, und du, meine Isolde! Eine charmante Variante der alten Dreiecksgeschichte. Das sieht dem Leben ähnlich, sich wie eine Liebesgeschichte aufzuführen.« Er lachte. » Nur mußtest du mir keinen Zaubertrank mehr zubereiten, um meine Liebe zu dir zu entflammen. Es genügte, wie du mich angesehen hast.«
Als er vorhin die steile Düne zu ihrem Liebesnest hinaufgerannt war, wo Maria bereits auf ihn wartete, und dabei immer wieder nach unten wegrutschte, weil er in der Eile seine Straßenschuhe anbehalten hatte, kam er völlig außer Atem oben an und behauptete, er fühle sich wie neugeboren. Seit ihrer Affäre war er ständig auf Trab, sagte Termine ab und ließ sich am Telefon verleugnen. Heimlich schuf er sich Gelegenheiten und die nötige Zeit, die er für sein Doppelleben brauchte, so daß Gudrun sich schon wunderte, wieso er dieses Jahr die Meisterkurse bei den Luzerner Festspielen abgesagt habe. » Gestern fragte sie mich, seit wann ich mir die Haare färbe.«
» Und? Tust du das?«
» Ein klein wenig, an den Schläfen, hier.« Er zeigte ihr, wo. Eilig fingen sie an, ihre Sachen zusammenzuklauben
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