Augenblick der Ewigkeit - Roman
mußte sie lachen. Sie beugte sich über das Balkongeländer und feuerte Herzog an. » Wetten, du kriegst es nicht!«
Mit ausgebreiteten Armen sprang er dem Ferkel entgegen, um ihm den Fluchtweg abzuschneiden. » …heute abend gibt es Schweinefleisch süßsauer.«
Er duckte sich wie ein Tormann beim Elfmeter. Das Ferkel lief geradewegs unter dem Rasensprenger hindurch und kam auf ihn zugeschossen wie ein nasser Ball. Herzog warf sich ihm entgegen und hatte das Tier schon fast an seinen kurzen Beinchen gepackt, da schlug das Schwein einen Haken und raste den Weg zurück, die Auffahrt hoch, wo sich die Flügel des elektronisch gesteuerten Eingangtors geöffnet hatten und ein Taxi hereingefahren kam. Bevor sich die Eisengitter wieder schlossen, wetzte das Schwein durch die offene Toreinfahrt hinaus auf die Landstraße, die an Pinienwäldern und Weingärten vorbei ins Hinterland führte, wo die Bergdörfer an den Felsen des Massif des Maures klebten und der kühle Mistral in der kargen Landschaft wehte.
Johanna stieg aus dem Taxi, auf dem Arm ihre vierjährige Tochter Lisa, die sich verschlafen die Augen rieb und, als sie Herzog sah, verdutzt den Arm ausstreckte.
» Warum liegt Großpapa auf der Wiese?«
Im Berieselungsradius des Rasensprengers lag Herzog auf dem Bauch und schlug mit beiden Fäusten auf den nassen Rasen. » Vergiften, eines Tages werde ich ihren ganzen Köter- und Schweinezoo vergiften!«
Johanna setzte ihre Tochter ab und gab ihr einen kleinen Klaps aufs Hinterteil. » Keine Ahnung. Vielleicht schlägt er das Unkraut tot. Rasch, lauf zu ihm und gib ihm einen Kuß, mein Liebling.«
Sie winkte Maria auf dem Balkon zu und bedeutete dem Taxifahrer, auf sie zu warten. Dann folgte sie ihrer Tochter, die über den Rasen hüpfte.
» Großpapa, wir sind mit dem Flieger gekommen…«
Als Herzog die Stimme seiner kleinen Enkeltochter hörte, drehte er sich auf den Rücken, hob den Kopf und lachte. » Ja, was für ein großes Mädchen kommt denn da so früh am Morgen angehüpft?«
Lisa ließ sich in seine Arme fallen, strampelte sich aber sogleich wieder los.
» Bekomme ich keinen Kuß?«
Sie schüttelte den Kopf und strich sich vorwurfsvoll ihr Kleid zurecht, das naß geworden war.
» Stell endlich den Rasensprenger ab, Robert!«
Er strahlte, als er Johanna auf sich zukommen sah, in ihrer tastenden Art, als wäre die Luft ringsum von einem unsichtbaren Gewebe durchzogen. Sie trug die Haare kurz im Nacken wie ein Junge, während ihr zugleich zwei blonde Strähnen ins Gesicht fielen. » Geht es dir wieder besser, Väterchen? Maria hat mir am Telefon gesagt, du hättest einen Schwächeanfall gehabt.«
» Nicht der Rede wert! Maria und ich hatten euch eigentlich erst am Wochenende erwartet. Wie schön, daß ihr schon ein paar Tage früher kommen konntet. Du mußt mich unbedingt am Nachmittag zur Probe ins Studio begleiten. Das Satellitenkonzert wird eine Sensation.«
Er umarmte sie. Sie war sein Liebling, wiewohl sie gegen seinen Willen die Laufbahn einer Cellosolistin eingeschlagen hatte und damit jenen Weg beschritt, dem er sich als junger Klaviervirtuose verweigert hatte. Selbst als erwachsene Frau war sie für ihn das kleine Mädchen geblieben, das ihm einstmals auf den Schoß geklettert war, um seine Haare gegen den Strich zu bürsten oder ihm die Finger in Mund und Ohren zu bohren. Kleinen Mädchen war er hilflos ausgeliefert. Er hatte ihr jeden Wunsch von den Augen abgelesen und sie ihm seine Liebe vergolten, indem sie zu ihm hielt, auch noch als er Gudrun, ihre Mutter, wegen Maria verlassen hatte.
» Ich soll dich von Mami grüßen. Sie wäre so gerne zu deinem Achtzigsten gekommen.«
» Maria war dagegen…«
» Maria ist ein eifersüchtiges Biest.«
» …ich habe versucht, sie zu überreden. Aber sie bestand darauf. Wollt ihr nicht erst mal reinkommen. Es gibt Kaffee und Kuchen.«
» Danke, aber ich will Lisa nur bei euch abliefern.«
» Wo ist der Kindsvater geblieben? Ist Ben nicht mitgekommen?«
Johanna hatte sich mit Ben, einem seiner jungen Assistenten, eingelassen. Als er versuchte, die Liaison zu hintertreiben, biß er bei Johanna auf Granit. Gegen ihren Dickkopf war er machtlos.
» Hast du vergessen, daß du Ben beim letzten Mal fast aus dem Haus geworfen hast, weil er dich einen unverbesserlichen Nazi genannt hat?«
Er konnte Ben nicht ausstehen, der nicht einmal den Mumm aufbrachte, seine Tochter zu heiraten, nachdem er sie geschwängert hatte. » Zu meinem Achtzigsten
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