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Augenblick der Ewigkeit - Roman

Titel: Augenblick der Ewigkeit - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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hörte, kam ihr sein Spiel oft wie mechanisch vor.
    In ihrem Elternhaus in Döbling hatte der Krieg nicht viel verändert, und doch war alles anders geworden. Niemand war krank, aber irgendwie herrschte eine gewisse Beklemmung. Die Winterabende im Musiksalon verliefen wie immer, hatten jedoch viel von ihrem früheren Zauber verloren. Wenn Mama und Papa sich mit gedämpften Stimmen und besorgten Gesichtern besprachen, wurden sie und Karl vorzeitig ins Bett geschickt.
    An jenem Tag, als die » Revolution« ausgerufen wurde, saß Papa mit Kopfhörern vor einem Detektorempfänger und hörte den Telefunkensender des Heeresministeriums ab. Graupelschauer fiel aus den Wolken. Die Revolutionäre und Proletarier zogen mit roten Fahnen im Schneematsch vor das Parlament. Schüsse fielen. Junge Literaten gründeten die » Rote Garde« und schrien: » Stürmt die Banken!« Der Hofrat nahm seine Pistole aus der Schreibtischschublade, ließ den Wagen vorfahren und fuhr in sein Büro in die Allgemeine Österreichische Bodenkreditanstalt, um sie daran zu hindern.
    Das Burgenland hatten die Siegermächte der neu gegründeten österreichischen Republik zugeschlagen. Als die große Glocke im Südwestturm des Schlosses in Eisenstadt den Tod des Majoratsherrn Nikolaus IV., elfter Fürst Esterházy de Galántha, verkündete, feierte man, wie der Wiener Schmäh zu sagen pflegte, » eine schöne Leich«. Denn wiewohl der Adel abgeschafft war, kamen die Trauerfeierlichkeiten einem Staatsakt gleich, und die Pompes Funèbres wirkten wie ein gewaltiger Abgesang auf die untergegangene Monarchie.
    Auch auf dem zerstörten Landgut ihres Vaters kehrte das normale Leben wieder ein. Als mit Kriegsende die Kavallerie abgezogen worden war, hatten meuternde Soldaten die barocken Kellergewölbe des Weinguts, in denen der alter Portugieser in Eichenfässern lagerte, geplündert und den Westflügel des Haupthauses in Brand gesteckt.
    Mit viel Geld sorgte ihr Vater dafür, daß die historischen Weinterrassen am Joiser Jungberg mit Sorten wie Blaufränkischer und Zweigelt rekultiviert wurden. Der mineralische Quarzschieferboden und der tiefgründige Muschelkalk an den Südhängen des Leithagebirges galten als Garant für große Rotweine. Franziska half, die neuen Rebstöcke anzupflanzen und auch beim Wiederaufbau des Schloßguts, das von Grund auf renoviert wurde.
    Sie war kein kleines Mädchen mehr und weigerte sich, noch länger in dem Kinderzimmer zu schlafen, in dem sie die Sommermonate ihrer Kindheit verbracht hatte, mit Märchenbildern an den Wänden und Puppen auf dem Bett, bewacht von Mascha, ihrer alten Kinderfrau. Sie wollte ein eigenes Reich, unabhängig vom Gängelband der Erwachsenen. Schließlich war sie im Frühjahr vierzehn Jahre alt geworden und hatte bei Papa und Mama nach langem Betteln ihren Dickkopf durchgesetzt.
    So durfte sie ein eigenes Appartement im ersten Stock des wiederhergerichteten Westflügels beziehen, mit einer überdachten Veranda, von wo aus man weit hinaus auf den See blicken konnte. Von hier führte eine Pappelallee durch Wein- und Obstgärten hinunter zu einem Badehaus, das am Seeufer auf Pfählen aus dem flachen Wasser ragte. Man gelangte auf einem schmalen Holzsteg durch dichtes Schilfdickicht in den See, wo das Wasser tief genug war, um zu schwimmen. Es war ein Sommer, der alle anderen Sommer ihrer Kindheit überstrahlte. Am Ende war das Wasser des Neusiedler Sees so sehr verdunstet, daß man fast zu Fuß von einem Ufer zum anderen waten konnte, ohne sich die Knie naß zu machen.
    Als sie zu Ferienbeginn ihre eigenen vier Wände in Beschlag nahm, fühlte sie sich zum ersten Mal wie eine junge Lady. Ein Himmelbett stand in der Mitte, mit Säulen und einem Baldachin aus weißem Leinen. Im Spiel der Schatten und des schwindenden Lichts, das durch die großen Fenster fiel, wirkte das Bett wie ein geräumiger Spielplatz. Mit einem freudigen Aufschrei ließ sie Hut und Mantel fallen und sprang mit einem Satz hinein.
    In jener Nacht, in der die Luft kaum merklich abkühlte, vermochte Franziska keinen Schlaf zu finden. Mascha, die Kinderfrau, deckte das Bett auf, faltete den cremefarbigen Überwurf mit aufgestickten Baumwolltupfen zusammen und legte ihr das Nachthemd zurecht. Mit geheimnisvoller Stimme prophezeite sie ihr, daß alle Träume der ersten Nacht in Erfüllung gehen würden. Erwartungsvoll lag Franziska mit offenen Augen in den Kissen, bedeckt mit einem dünnen Leinentuch, und wartete, vom Schlaf übermannt zu

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