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Augenblick der Ewigkeit - Roman

Titel: Augenblick der Ewigkeit - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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Mann geführt hatte, der sehr viel konservativer darüber dachte. Wiewohl die Wertheimers schon lange zu den assimilierten Familien des Wiener Großbürgertums zählten, waren sie nie zum Christentum konvertiert. Sie achteten die hohen jüdischen Feiertage, ohne jedoch ihr Leben an den Geboten und Gesetzen auszurichten, die das Leben eines frommen Juden vom Tag seiner Geburt bis zum Tod regeln. Ihr Kind sollte selbst entscheiden, sobald es alt genug sein würde.
    Dagegen brachte sie für das Theater eine Inbrunst auf, die sie für ihren Glauben nie empfunden hatte. Seit jenem Abend, als sie Josef Kainz zum ersten Mal als Franz Moor im Burgtheater gesehen hatte, war sie dem Theater verfallen. Sein einschmeichelnder Singsang, mit dem er Amalie umgurrte, erregte ihre Sinne und verfolgte sie bis in ihre Träume, so daß sie tagelang liebeskrank und theatertrunken ihr Zimmer nicht mehr verließ. Von da an war sie der Ekstase dieses Burgschauspielers verfallen, war seinen alles versengenden Sprachkaskaden, mit denen er seine Mitspieler und das Publikum blendete, hilflos ausgeliefert, wenn er wie unter Starkstrom » zornig, aufrührerisch, liebestoll, jauchzend sich entlud und seine Stimme zu bisher noch nie gehörten Höhen emporschnellte«, wie ein Theaterkritiker im Neuen Wiener Tagblatt geschrieben hatte. Nach den Vorstellungen mischte sie sich ins Spalier unter die theaterverrückten Schüler und Studenten und wartete, bis der Außerirdische aus der Bühnentür trat, den maulwurfsamtenen Kragen hochgestellt, den Zylinder in die Stirn gezogen, einen weißen Seidenschal gegen den Mund gepreßt und nach allen Seiten grüßend in seine bereitstehende Equipage stieg.
    Ihre Theaterbesessenheit stieß auf den vehementesten Widerstand, den sie von ihren Eltern je erfahren hatte. Da sie also selbst nicht Schauspielerin werden konnte, studierte sie Germanistik und Kunstwissenschaft und führte in Konkurrenz zu ihrer Kritikerkollegin Bertha Szeps-Zuckerkandl mit einem gewissen intellektuellen Standesdünkel in ihrer Döblinger Villa einen prominenten Salon für jene Künstler, die Wien wirklich zu einer Kunst- und Theaterstadt gemacht hatten, wie O.M. Fontana, Robert Müller, Max Mell, Alfred Polgar. Schauspieler wie Max Paulsen, Raoul Aslan und Hedwig Bleibtreu fanden sich dort ebenso ein wie Bassermann, Tilla Durieux oder Max Reinhardt, wenn sie auf Durchreise waren, in Wien spielten oder inszenierten.
    » Mag sein, daß Karl einmal ein großartiger Klaviervirtuose wird, aber ich sehe es nicht gern, wenn meine Tochter sich einem dahergelaufenen böhmischen Musikanten an den Hals wirft. So, nun ist es endlich heraus…«
    Sie atmete auf, als wäre ihr eine schwere Last vom Herzen gefallen.
    Franziska war aufgesprungen und starrte ihre Mutter entsetzt an. Der Schock über das grobe Urteil war so groß, daß ihr schwindelig wurde und sie sich auf eine Stuhllehne stützen mußte. So offen und brutal hatte sie ihre Mutter noch nie über Karl reden hören.
    » Aber Mama, du hattest all die Jahre nichts dagegen, daß er bei uns wohnen durfte.«
    » Ich hätte mich schon sehr viel früher äußern müssen. Das war sicherlich ein großer Fehler. Aber erst in den letzten Monaten ist mir aufgefallen, wie sehr er sich im Unguten verändert hat.«
    Fanny Wertheimer saß starr vor ihrer Schreibmaschine und blickte über den Kopf ihrer Tochter hinweg auf die Blumentapete, als wären darauf alle Argumente notiert, deren sie zur Begründung ihres Vorwurfs bedurfte.
    » Ich hatte nichts dagegen, daß Papa sein Talent förderte, ihm die Ausbildung bezahlte, aber ich war nie wirklich glücklich darüber, daß er ihn in unser Haus geholt hat als ein zusätzliches Familienmitglied, zumindest nicht auf Dauer. Er hat sich einfach bei uns eingeschmeichelt, dir und Papa mit seinem Klavierspiel den Kopf verdreht. Ich kenne die Menschen. Du wirst sehen: Karl wird die Hand beißen, die ihn gefüttert hat.«
    Franziska erschrak. Ein ähnlicher Gedanke war ihr nach seinem Geständnis auch schon durch den Kopf gegangen.
    » Ich bin vielleicht nie wirklich besonders mütterlich zu dir gewesen, Franziska. Aber ich liebe dich von ganzem Herzen und will nicht, daß du unglücklich wirst, mein Kind.«
    Trotz ihrer Bestürzung sah Franziska, daß der Blick, mit dem ihre Mutter die Wand anstarrte, von einem Tränenfilm verschleiert war.
    » Ich erwarte also von meiner kleinen Tochter, daß sie weiß, was sich ziemt, und sich in Zukunft wie eine junge Dame benimmt!

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