Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Augenblick der Ewigkeit - Roman

Titel: Augenblick der Ewigkeit - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
Vom Netzwerk:
Himbeeren aufs Zimmer. Hier, versuch mal. Sie sind zuckersüß! Habe ich heute Morgen selbst gepflückt.«
    Schon im Treppenhaus hörte Franziska das knarzende Geräusch, mit dem ihre Mutter eine neue Seite auf die Walze spannte und lostippte. Wahrscheinlich hockte sie wieder im Schein einer Nachttischlampe in einem Meer zerknüllter Papierfetzen vor ihrer Schreibmaschine und hatte die Läden geschlossen und die Vorhänge zugezogen. Sie liebte es, bei fast völliger Dunkelheit bis in den Mittag hinein ihre Kulturartikel und kleinen Theaterrezensionen aus dem Wiener Künstler- und Theaterleben zu schreiben, die sie in der Prager Presse unter Pseudonym veröffentlichte. Zu solchen Zeiten durfte keiner sie stören. Zweimal mußte Franziska an die Tür klopfen, bevor sie sie hereinbat. Sie betrat das Zimmer, dem das ungewisse Halbdunkel eine bohemehafte Atmosphäre verlieh.
    » Mama?«
    Zunächst konnte sie so gut wie nichts erkennen, wagte aber nicht, die elektrische Deckenlampe anzuknipsen, und stellte das Tablett mit der Kanne und den Himbeeren auf ein Tischchen neben der Tür. Im Nu hatte das Aroma des Kaffees den flüchtigen Parfümduft überlagert, den sie seit ihrer Kindheit stets mit der Anwesenheit ihrer Mutter in Verbindung brachte.
    » An was schreibst du, Mama?«
    » Gleich, mein kleiner Liebling!«
    Fanny Wertheimer überflog, was sie geschrieben hatte, und tippte dann den Absatz zu Ende. Schweigend stand Franziska hinter ihr und bewunderte ihre geschmeidigen Finger, die virtuos auf der Tastatur ihrer kleinen Reiseschreibmaschine spielten. Die Metallhämmer hackten wie verrückte Hühner aufs Papier und hinterließen kleine scharf umrandete Zeichen.
    » Über den Skandal im Schönbrunner Schloßtheater bei der Aufführung von Shaws Helden …«
    Mama sah jung und wunderschön aus, wie sie vor ihrer » Erika« saß, in einem satinglänzenden Morgenrock, die Beine elegant übereinandergeschlagen, mit einem ihrer Seidenpantöffelchen wippend– wie ein amerikanischer Stummfilmstar.
    » …bulgarische Studenten fühlten sich von dem Stück so beleidigt, daß es zu einem Handgemenge kam und man erst weiterspielen konnte, nachdem die Polizei die Randalierer verhaftet hatte.«
    » Und warum beleidigt?«
    » Weil in dem Stück ein bulgarischer Major das ewige Waschen für unnatürlich erklärt, wohingegen seine Tochter sich rühmt, es › fast täglich nötig zu haben‹. Ich hoffe, du stimmst mit ihr darin überein!«
    Sie riß das Papier aus der Walze und brachte mit der Hand noch ein paar Korrekturen an. » Übrigens, wie war deine erste Nacht im neuen Zimmer?«
    » Wie schon? Ich habe geschlafen.«
    » Mascha erzählte mir heute morgen, die ganze Nacht hätte bei dir das Licht gebrannt.«
    » Ach, Mascha ist doch nur eine alte Schwatzliesel! Ich habe gelesen und muß darüber eingeschlafen sein.«
    » Sie will dich gesehen haben, am frühen Morgen, zusammen mit Karl auf deiner Veranda.«
    » Du weißt doch selbst, sie ist halb blind. Außerdem hat sie wieder zuviel Slibowitz getrunken und alles doppelt gesehen. Als die ersten Schüsse fielen, bin ich aufgewacht und auf die Veranda gelaufen.«
    Fanny wußte, daß ihre Tochter nicht die Wahrheit sagte. Sie selber hatte Mascha den Auftrag gegeben, ein Auge auf sie zu haben. » Öffne den Laden ein wenig, damit ich dich besser sehen kann, mein Kind.«
    Franziska stieß den Fensterladen einen Spaltbreit auf, so daß ein Lichtstrahl quer durchs Zimmer fiel. Fanny Wertheimer blinzelte. Ihre Augäpfel schimmerten bläulich wie wässerige Milch. » Komm, gib mir einen Kuß und setz dich zu mir. Ich weiß doch, du liebst mich, auch wenn ich manchmal streng zu dir bin!«
    Franziska nickte.
    » Wenn ich dir also nicht manchmal deine Grenzen aufzeige, dein Vater tut es bestimmt nicht.«
    Sie umarmte ihre Tochter und zog sie zu sich. » Nun gut! Du weißt, mein Kind, daß ich nicht sehr begeistert davon war, daß Papa Karl in unser Haus geholt hat. Er gehört eben nicht zu unserer Familie!«
    Fanny Wertheimer war stolz auf ihre spaniolische Herkunft, obwohl sie für den Kult im Tempel, wie noch ihr Vater, ein Prager Textilfabrikant, der täglich in seinem Talmud las, nie viel übrig gehabt hatte. Zu beten und in den Schriften zu lesen bedeutete ihr so gut wie nichts, und folgerichtig hatte sie auch ihrer Tochter alle Verrichtungen der Religion ihrer Väter erspart, sogar die Sonntagsschule, in der man Hebräisch lernen konnte, was zu einigen Spannungen zwischen ihr und ihrem

Weitere Kostenlose Bücher