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Augenblick der Ewigkeit - Roman

Titel: Augenblick der Ewigkeit - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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steigen sah, mit dem ihn Melzer vom Bahnhof abgeholt hatte, war all ihr Groll verflogen.
    Karl hatte während des Essens keinen Bissen angerührt, selbst die Dobostorte hatte er verschmäht und war statt dessen in dem fensterlosen Flur vor dem Speisezimmer auf und ab getigert. Als sie ihn fand, saß er im Dunklen auf einer Truhe und zitterte.
    » Was hast du?«
    » Lampenfieber, daß es nicht zum Aushalten ist.«
    Sie legte ihre Hand auf seine Stirn. Er glühte.
    » Es ist nicht das erste Mal, daß du vor Publikum auftrittst. Und alle, die da drinnen feiern, sind dir wohlgesonnen. Hör nur, wie sie krakeelen!«
    Aus dem Speisezimmer drang Gelächter und Geschrei. Die Filets de sarcelles à la Périgueux hatten so gustiös gemundet, daß manchen Gästen bei den ersten Bissen die Tränen in die Augen geschossen waren.
    » Aber er ist extra aus Wien gekommen, um mich zu hören. Und keiner hat mir vorher was gesagt!«
    » Ach, Quatsch. Der wollte nur mal was Gescheites in den Magen kriegen! Übrigens, er scheint ein Süßschnabel zu sein. Von der Mandelsulz hat er sogar ein drittes Mal genommen!«
    » Normalerweise gibt’s immer Wege, sich durchzuschummeln, mit Pedal und so, aber nicht bei ihm!«
    Sie schüttelte den Kopf. » Er tut dir schon nichts. Er scheint recht handsam zu sein und ist tatsächlich ein Homme à Femmes.Wie er Mama schon um den Finger gewickelt hat!«
    » Dafür sind meine Finger steif und wie gelähmt.«
    » Gib schon her.«
    Sie nahm seine Hände, hauchte sie an und rieb sie zwischen den ihren. » Das haben wir gleich, Karel Bohumil. Sie sind nur kalt…«
    Er beendete ihren Satz mit einem schüchternen Lächeln. » …ich weiß, wie Frauenhände.«
    Sie feuchtete ihre Fingerspitze an und fuhr ihm über seine Augenbrauen.
    » Wenn nur du mir wieder gut bist, Fränzchen.«
    » Das bin ich dir doch, Karel.«
    Aus einem aufwallenden Gefühl heraus, das stärker als geschwisterliche Liebe war, hatte sie ihn auf den Mund geküßt. Danach hatte er losgelegt mit donnernden Akkorden. Er spielte Triller voller Unrast und die kompliziertesten Läufe mit bedenkenlosem Schwung. Er spielte mit Tempo und mit Mut zum Pathos und nahm notfalls sogar falsche Töne in Kauf. Bei allem Lampenfieber– er kam ihr vor, als wollte er es seinem angehimmelten Idol beweisen.
    Seine Augen blitzten vor Übermut, während er die Stakkato-sechzehntel der linken Hand dem beschleunigten Drängen der Zweiunddreißigstel seiner Rechten entgegensetzte und den ganzen Flügel musizieren ließ. Kein Ton blieb außerhalb der Kontrolle seines rhythmischen Instinkts, und die Musik jagte immer stürmischer dahin und packte sie mit Macht.
    Sie drückte ihm die Daumen, bis sie schmerzten. Ein Klopfen in ihrer Brust begleitete sein Spiel, und der bloße Anblick, wie er vor dem Flügel saß, löste ein Kribbeln in ihrem Nacken aus, daß sie glaubte, ohnmächtig zu werden. Ihr Kopf wurde leer, und sie vermeinte, nur noch die Mechanik des Konzertflügels und das Trommeln seiner Fingerkuppen auf den Tasten zu vernehmen. Sie fühlte sich zu ihm hingezogen, als wäre sie mit ihm in einen Raum gesperrt, aus dem es kein Entrinnen gab. Etwas war mit ihr geschehen, etwas, das ihr in jenen Augenblicken erst bewußt wurde: Sie war in ihn verliebt!
    Sie betrachtete sein Gesicht, als sähe sie es zum ersten Mal. Eine Haarsträhne hing ihm in die Stirn, und ein feuchter Schimmer lag in seinen Augen. Sie wunderte sich über die Länge seiner Augenwimpern, die im Kerzenlicht besonders glänzten, und die Blässe seiner Haut. Papa stand geduckt wie auf dem Sprung schräg hinter ihm und blätterte die Noten um. Mit sachkundigem Nicken verfolgte er in der Partitur sein Spiel und sah sich nach jeder virtuos gelösten Passage mit einem »N a, habe ich euch zuviel versprochen« im Kreise seiner Gäste um. Da bemerkte sie, wie auch sie anfing, sich mehr für seine Wirkung auf die Gäste zu interessieren als für sein Klavierspiel.
    Einige, die ihre Begeisterung kaum verbergen konnten, saßen aufrecht auf der Stuhlkante. Andere, mit weniger geschultem Gehör, hingen in den Sesseln, die Hände über den Leib gefaltet, mit ausgestellten Beinen und heimlich gelockertem Hosenbund. Manche kämpften mit gefrorenem Lächeln gegen die Schläfrigkeit, die das gute Essen und der Wein in ihnen ausgelöst hatten, und gähnten verstohlen hinter vorgehaltener Hand. Die meisten jedoch waren in Gedanken läng st schon bei der Beizjagd am nächsten Morgen.
    Mama hatte nur Augen für

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