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Augenblick der Ewigkeit - Roman

Titel: Augenblick der Ewigkeit - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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fuhren die Sommergäste in Automobilen, edel wie rollende Skulpturen, vom Hof des Weinguts. Tiefe Motorengeräusche zeugten von der Wichtigkeit der Bankiers und Wirtschaftsbosse, die sich von ihren Chauffeuren zurück in ihre Schaltzentralen am Wiener Ring kutschieren ließen, um von dort die drohende Hyperinflation zu bekämpfen, die von Berlin auch in die Österreichische Republik geschwappt war.
    Der Hofrat verzichtete auf das » fällige Vieraugenplauscherl«, in dem er Karl wegen seiner Unbotmäßigkeit zur Rechenschaft ziehen wollte, weil sich der Doktor, der schon am Abend mit dem Zug nach Wien abgereist war, mit warmen, aufrichtigen Worten für ihn eingesetzt und versichert hatte, wie sehr er sich auf das Saint-Saëns-Konzert im Herbst mit Karl und den Symphonikern freue. Dafür aber nahm der Hofrat ihm das Versprechen ab, während der Sommerferien fleißig für das Konzert zu üben, ohne daß Karl den Mut aufgebracht hätte, sich und seine Not zu offenbaren. Insgeheim wußte er schon da, daß er sein Versprechen nicht halten würde, und tatsächlich betrat er während der ganzen Zeit kein einziges Mal die Bibliothek.
    Fanny Wertheimer erinnerte ihre Tochter an die morgendlichen Ermahnungen im Boudoir, dann reisten die Eltern ab. Melzer steuerte den Maybach durch das ungarische Tor mit dem Taubenschlag im Dachbalken. Die Tauben flogen auf, und Franziska und Karl winkten zum Abschied. Dann waren sie mit der Dienerschaft allein im Haus.
    Sie verbrachten ihre Ferien wie Königskinder und ahnten nicht, wie unaufhaltsam sich die Netze um ihre unschuldige Zweisamkeit zusammenzogen. Mascha, die Kinderfrau, ein dunkles Frauenzimmer mit sorgfältig gescheiteltem Haar, kurzsichtigen Schleieraugen und einer kolossalen Brosche unter dem Kinn, war die Norne, die Karl und ihren kleinen Schützling Franziska keine Sekunde aus den Augen lassen sollte.
    Die beiden scherten sich so gut wie nicht um die Ermahnungen der lästigen Gouvernante. Statt dessen rissen sie aus, ritten auf kleinen Pferden in die Salzsteppe, die vom Seeufer so weit nach Osten ging, wie das Auge reichte, wo es Störche und Silberreiher gab und wilde Esel, und schliefen auf dem Heideboden bei den Hirten mit ihren zottigen Hunden, wie Franziska es ihm in Karlsbad auf dem Dreikreuzberg versprochen hatte.
    Bei Tagesanbruch ruderten sie mit einem flachen Nachen auf den See hinaus. Franziska saß dann am Steuerruder und starrte konzentriert an Karl vorbei, um die schmalen Wasserrinnen nicht zu verfehlen, die vom Ufer durch das Labyrinth des Schilfgürtels führten, während er sich mühte, die Ruderblätter nicht im Uferdickicht zu verhaken. Jedes Erschrecken auf ihrem Gesicht quittierte Karl mit Gelächter, wenn plötzlich Löffelenten, Rohrdommeln oder Silberreiher vor ihnen aufflogen. Hatten sie den See erreicht, legten sie sich auf die Bootsplanken, die Sonne brannte auf ihre Rücken, sie betrachteten ihr Spiegelbild im Wasser und ließen den Nachen treiben. Das Kielwasser am Heck leuchtete smaragdgrün im Sonnenschein, und zwischen dem Schilf und den Sumpfpflanzen schossen Fische, silberweiß und schwarzschlüpfrig, unter dem Schlagschatten ihrer Köpfe dahin. Wenn sie aufblickten, konnten sie durch die mannshohen Rohre der Schilfgräser hin und wieder kleinere Herden hornloser Rinder mit geraden Rücken, gebeugten Köpfen und prallen Eutern zwischen Schwarzerlen weiden sehen, die dem Seeufer einen Anflug verzauberter Geruhsamkeit verliehen.
    Oft lagen sie bis in den späten Nachmittag auf dem Steg, wo sie sich zum ersten Mal geküßt hatten, und gaben sich einem ausgedehnten Austausch von Zärtlichkeiten hin, wie zwei ungestüme Ponys, die sich aus schierer Lebenslust gegenseitig in den Nacken bissen. Wenn die Sonne unterging, schwirrten Vögel durch das Schilf. Mit plumpen Schwänzen und mühseligen Flügelschlägen kamen sie von überall her und versammelten sich in der vom Blitz zerzausten Kastanie, die der Kolonie als Schlafbaum diente, bis das ganze Ufer von ihrem Zwitschern widerhallte. Meist blieben sie so lang am See, bis es dunkel geworden war und tief über dem Horizont der Abendstern in einem purpurfarbenen Streifen erstrahlte.
    Franziska hob den Arm. » Da oben! Eine Sternschnuppe.«
    » Hab ich auch gesehen. Jetzt kann sich jeder etwas wünschen.«
    » Aber nicht verraten.«
    » Die Araber sagen, daß Sternschnuppen Steine sind, die Engel auf böse Geister werfen, um sie zu vertreiben, wenn diese versuchen, sie im Paradies zu belauschen, um

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