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Augenblick der Ewigkeit - Roman

Titel: Augenblick der Ewigkeit - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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die Geheimnisse der Zukunft zu erfahren.«
    » Und ich hab gelesen, daß bei den Arabern jeder seinen eigenen Stern hat. Er taucht auf, wenn der Mensch geboren wird, und erlischt, wenn er stirbt. Vielleicht ist das dein Stern da oben.«
    » Er ist zu hell, um meiner zu sein. Sie verblassen nämlich, wenn man älter wird.«
    Franziska stieß ihm ihren Ellbogen in die Seite. » Du bist bloß ein paar Monate älter als ich.« Sie verschränkte wieder die Hände unter ihrem Kopf. » Ich kann den Polarstern nicht finden.«
    Karl deutete auf einen schwachen Punkt schräg über ihrer rechten Schulter. »Das da ist er ! «
    » Eigentlich müßte er viel größer sein, weil er so wichtig ist.«
    » Ich verstehe auch nicht, warum man ihn so verdammt klein gemacht hat. Aber wenn man die Hinterachse des Großen Bären verlängert, entdeckt man ihn. Den Großen Bär kennst du…«
    » …der ist bekannt wie eine Leuchtreklame.«
    » Siehst du, wie er den Rücken krümmt. Die sieben Hauptsterne haben arabische Namen: Dubhe…«
    » Was heißt ›Dubhe‹?«
    » Heißt einfach ›Bär‹. Der Stern darunter Merak, das heißt ›die Lende‹. Und der Stern daneben Phekda, ›der Schenkel‹. Wenn man genau hinschaut, kann man sogar sehen, wie er seine Tatze hebt und zornig schnaubt.«
    Franziska seufzte. » So wie Mascha, wenn wir wieder zu spät nach Hause kommen.«
    Karl setzte sich auf und ließ die nackten Füße über dem Wasser baumeln. » Aber das sind alles nur gedachte Linien, die die Fixsterne miteinander verbinden. In Wirklichkeit driften sie mit wahnsinniger Geschwindigkeit auseinander, weil sich das Weltall immer schneller ausdehnt.«
    » Dann werden wir schon lange tot sein.« Franziskas Stimme klang kläglich. Sie stützte sich auf und sah ihn verzweifelt an. » Du weißt so viel, Karel. Dann weißt du vielleicht auch, für was es gut sein soll– das kurze Leben?«
    Er schüttelte den Kopf. » Woher soll ich wissen, was keiner weiß. Gott hat das Leben erfunden– nicht wir. Deshalb sollten wir es genießen, solange es dauert.«
    Er beugte sich zu ihr hinunter, und während er ihr das Haar aus der Stirn strich, zog er ihr Gesicht zu sich her. » Was hast du dir vorhin gewünscht?«
    » Dasselbe wie du!«
    Ihre Lippen teilten sich unter seinem Kuß, und doch huschte ein Schatten über ihr Gesicht. Als er sie losließ, sank ihr Kopf nach vorn wie eine Blume, deren Stengel geknickt worden ist.
    » Was hast du?«
    » Angst, daß unser Glück ein Ende haben könnte.«
    » Warum soll es enden? Es hat doch gerade erst angefangen.«
    Sie schwieg und mußte daran denken, wie abfällig ihre Mutter von ihm gesprochen hatte.
    In den Nächten nahm er sie mit in sein geheimes Versteck auf dem Speicher, setzte sie zwischen die Strohpuppen, stellte das Grammophon an und dirigierte für sie alle ihre Lieblingssymphonien wie in einem Wunschkonzert. Erst lange nach Mitternacht schlichen sie zurück ins Haus, leise und im Schutz der Dunkelheit, um Mascha aus dem Weg zu gehen.
    An manchen Samstagen, wenn die Straße in das Eisenstädter Ghetto mit einer Kette abgesperrt wurde, damit jeder fromme Jude wußte, wie weit er gehen durfte, ohne die Schulchon Aruchl, das jüdische Gesetz, zu verletzen, nahm Franziska Karl mit in die Synagoge, und sie lauschten den Gesängen des Rabbi Simon Löwy aus Frauenkirchen, der in den sieben Gemeinden der Esterházyschen Schutzjuden berühmt war für seine Stimme. Bei der Aushebung der Thora zogen die alten Männer ihre Schuhe aus, faßten sich an den Händen, hüpften in weißen Socken in der Runde, lösten den Ring und klatschten in die Hände, warfen die Köpfe im Takt verzückt nach links und rechts, ergriffen die Thorarolle und schwenkten sie im Kreis, drückten sie an die Brust, küßten sie und weinten vor Freude.
    Später fuhren sie mit den Rädern ins nahe gelegene Raiding zu dem weißen Bauernhäuschen, in dem Liszt geboren worden war, oder besuchten in der Gruft der Ambrosiakirche am Kalvarienberg Haydns Grab. Karl lief es kalt über den Rücken, als er die schmalen Steinstufen hinab zur Krypta stieg. Nur langsam konnten sich seine Augen an die Dunkelheit der Gruft gewöhnen, in der nichts als ein rotes Lämpchen brannte. Er verbeugte sich ehrfurchtsvoll vor dem großen Toten und fröstelte bei der Vorstellung, daß der geniale Komponist, der die Menschheit mit seiner herrlichen Musik beschenkt hatte, in seinem Sarg so unkomplett und ohne Schädel ruhen sollte.
    Diesmal war es Franziska, die

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