Augenblick der Ewigkeit - Roman
sollte.
Monte Carlo – Donnerstagmorgen
Als sie den Kopf hob, sah sie eine alte Frau im Negligé, die sich im Spiegel anstarrte. Um sich ihren Anblick erträglicher zu machen, drehte Gudrun den Dimmer an der Badezimmertür zurück, bis der Raum in Schummerlicht getaucht war, setzte sich auf den Wannenrand und fuhr fort, gegen ihren Kummer anzusingen.
»Die Zeit, die ist ein sonderbar Ding.
Wenn man so hinlebt, ist sie rein gar nichts…«
Es war der wehmütige Abgesang der Marschallin aus dem Rosenkavalier, eine der letzten Partien, die sie vor ein paar Jahren bei den Salzburger Festspielen gesungen hatte, bevor sie ihre Karriere als eine der beliebtesten Opernsängerinnen ihrer Generation beendet hatte, um sich am Mozarteum ganz dem Gesangsunterricht und ihren Schülern zu widmen.
Mitten in der Arie brach sie unvermittelt ab und kontrollierte ihr Gesicht im Spiegel. Sie wischte sich die Augen und tupfte mit einem Kosmetiktuch die Wangen. Die schwarzen Schatten, die eben noch ihr Gemüt gestreift hatten, waren verflogen, und pflichtbewußte Preußin, die sie war, hatte sie sich wieder im Griff. Ihr Mund zog sich zu einer Schnute zusammen, bis auf ihrer Oberlippe eine Reihe winziger Fältchen entstand. Dann entspannte sich ihr Mienenspiel, und sie bot ihrem seitenverkehrten Gegenüber jenes perfekte Lächeln, mit dem sie auf allen ihren Plattencovers abgelichtet war. Dabei kam eine kleine Lücke zwischen ihren Schneidezähnen zum Vorschein, die sie nie mit Jacketkronen hatte korrigieren lassen, nicht weil sich sonst der Resonanzraum in ihrem Mund hätte verändern können, sondern weil sie damit schon als kleines Kind wie ein Fuhrknecht pfeifen konnte, daß die Jungs in der Nachbarschaft vor Neid erblaßten.
» Jetzt solltest du dich aber sputen, Mama. Die Proben beginnen in einer halben Stunde.« Johanna war extra früher gekommen, um sie abzuholen. Maria hatte sie geschickt. » Ich habe ihr versprechen müssen, dich persönlich zu begleiten und dich keinen Moment mehr aus den Augen zu lassen. So lange, bis du im Palais de Festival auf der Bühne stehst.«
Seit ihrer Scheidung war Gudrun ihrer Nachfolgerin aus dem Weg gegangen und hatte sich nach Salzburg ins Exil zurückgezogen. Wahrscheinlich fürchtete sich dieses Luder ebenso wie sie sich vor der Begegnung und wollte unbedingt verhindern, daß sie in allerletzter Sekunde einen Rückzieher machte. Ob Johanna ahnte, welche Überwindung es sie gekostet hatte, Marias Einladung nach Monte Carlo anzunehmen? Aber seit der Scheidung waren fünfzehn Jahre vergangen, und die Idee, all jene zu versammeln, die Herzog auf seinem musikalischen Lebensweg begleitet hatten– selbst wenn sie im Streit von ihm geschieden waren–, und ihm zu Ehren ein Konzert einzustudieren, war allzu verlockend gewesen.
» Selbst Steinberg hat zugesagt, und Lassally soll bereits aus New York eingetroffen sein. Und, was das Beste ist, Papa hat keine Ahnung, was hier abgeht. Du kannst dir gar nicht vorstellen, was er für ein Gesicht gemacht hat, als ich ihm gestern morgen erklärte, Ben und ich wären auf Tournee.«
» Das muß ihn ziemlich hart getroffen haben.«
» Warum auch nicht, Mama? Vergiß nicht, wie rücksichtslos er sein kann.«
» Gut, daß du mich daran erinnerst, mein Kind.«
Gudrun hatte sich ein Handtuch um den nassen Kopf geschlungen und wühlte energisch in den Koffern, die über das ganze Zimmer verstreut herumstanden. Innerhalb weniger Minuten hatte sie das Hotelzimmer in ein Schlachtfeld verwandelt. Schließlich riß sie ein helles Seidenkleid heraus, drapierte es sich um Schulter und Hüfte und posierte unentschlossen vor dem Spiegel.
» Unmöglich, Mama! Darin siehst du richtig angefummelt aus, wie in einem Kinofilm der dreißiger Jahre!«
» Du hast recht, mein Kind. Damit kann ich Maria unmöglich unter die Augen treten.«
Sie machte eine kleine Pause und ließ sich entmutigt neben ihrer Tochter auf der Bettkante nieder.
» Am besten, wir lassen die Sache…«
» Das kannst du ihr nicht antun, Mama. Maria rechnet fest mit dir. Immerhin war sie es, die den ersten Schritt getan hat.«
» …und was noch dazukommt, ich bringe keinen gescheiten Ton mehr raus!«
» Ich habe dich doch gerade noch im Badezimmer singen hören. Es klang so wundervoll, Mama, wie früher.«
» Im Badezimmer, ja, vielleicht. Aber seit meinem Abschied von der Oper habe ich keinen Ton mehr auf einer Bühne gesungen.« Ihre Stimme klang kläglich. » Damals schlug mein Herz genauso
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