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Augenblick der Ewigkeit - Roman

Titel: Augenblick der Ewigkeit - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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wild wie jetzt.«
    » Ich weiß, Mama, das war nach der Dernière des Rosenkavaliers zweiundsiebzig bei den Salzburger Festspielen.«
    Gudrun schniefte. » Ich sang die Marschallin, wie du dir denken kannst…«
    » Die Sophie wird’s wohl nicht mehr gewesen sein, Mama! Hier, nimm, mein Taschentuch.«
    » Weißt du noch, damals im Goldenen Hirschen in Salzburg…«
    » Wie könnte ich vergessen haben, wie du in einem Panikanfall alle Wasserhähne im Badezimmer aufgedreht hast, damit das Rauschen dein Stöhnen und Schluchzen übertönt, während draußen der Regieassistent verzweifelt an die Tür gehämmert hat. Und jetzt komm, die warten nur noch auf uns.«
    Doch Gudrun hatte keine Eile. Sie kreuzte die Beine, balancierte ein seidenes Pantöffelchen auf ihrem großen Zeh und blickte in Gedanken durch die offene Balkontür hinaus aufs Meer. » Nach der Vorstellung, als alle schon gegangen waren, bat ich den Inspizienten, den eisernen Vorhang noch einmal hochzuziehen, alle Lampen im Zuschauerraum und auf der Brücke anzumachen und mich auf der leeren Bühne im Großen Festspielhaus ein paar Minuten allein zu lassen. Du weißt ja, wie unendlich breit die Bühne ist.«
    » Aber, Mama! Ich war doch selbst dabei.« Johanna schaute auf ihre Uhr.
    Gudrun ließ sich von der Ungeduld ihrer Tochter nicht aus der Ruhe bringen. » Es war mein Wunsch, auf diese Weise von meinem Leben auf der Opernbühne Abschied zu nehmen.«
    » Ich weiß, Mama, ich habe selbst dafür gesorgt, daß er dir erfüllt worden ist!«
    » Ein halbes Jahrhundert hatte ich auf ihr verbracht, ein halbes Jahrhundert meines künstlerischen Lebens ließ ich zurück, und ich wußte, ein weiteres wird es nicht geben. Nie mehr würde ich auftreten. Ich stand allein in der Kulissengasse, und in meinem Kopf wirbelten die Melodien aller meiner Opernrollen durcheinander.«
    » Du standest nicht allein in der Kulissengasse, Mama, denn ich stand hinter dir!«
    » Mir war, als liefe die Vergangenheit im Zeitraffer vor meinem innern Auge ab. Dann hörte ich den Inspizienten leise in sein Mikrofon flüstern. › Ihr Auftritt, Maestra!‹ Ganz langsam ging ich ein letztes Mal auf die Bühne.«
    Sie stand auf und schwebte mit ausgestreckten Armen durchs Zimmer.
    » Du bist gestolpert. Die Scheinwerfer hatten dich geblendet.«
    Aus ihrer Trance gerissen, blieb Gudrun stehen. » Du hast recht, mein Kind, es ist das Scheinwerferlicht, das ich seither am meisten vermisse.« Dann schaute sie wieder an ihrer Tochter vorbei auf die weiß getünchte Wand, als würde dort die Abschiedsszene wie auf eine Leinwand projiziert.
    » Ich nahm Abschied von all meinen unglücklichen Heldinnen, die so oft und so vergeblich geliebt und gelitten hatten, bis daß der Tod sie erlöste. Erst in diesem Moment, als ich allein mit mir war, als es kein Publikum mehr gab, kein Orchester und keinen Dirigenten, der meine Stimme hätte begleiten können, wurde mir die Ungeheuerlichkeit des Augenblicks bewußt. Damals hatte ich Abschied genommen, für immer, und ich habe mich daran gehalten.«
    » Aber du mußt auf keiner Bühne auftreten. Das Konzert findet zu Hause in Saint-Tropez in unserem Garten statt, in aller Herrgottsfrüh.«
    Gudrun schüttelte den Kopf. » Es ist nicht mehr mein Zuhause.«
    » Dann meinetwegen seins!«
    » Und du sagtest, Lassally und Steinberg kommen auch?«
    Johanna nickte. Fürsorglich legte Gudrun ihre Arme um sie. » Ach, mein Kind. Du weißt ja gar nicht, wie sehr ich mich freue, die alten Freunde noch einmal wiederzusehen. Wenn ich doch bloß diese peinliche Szene mit Maria schon hinter mir hätte!« Sie stampfte mit dem Fuß und ließ Johanna los.
    » Die Aussöhnung mit ihr ist deine Eintrittskarte!«
    » Hast du sie denn nicht auch gehaßt, wie sie sich in unser Leben eingeschlichen und unsere kleine Familie kaputtgemacht hat?«
    » Das ist schon so lange her. Man kann nicht sein ganzes Leben mit Hassgefühlen herumlaufen!«
    » Ich schon!«
    » Ich weiß, Mama, und deshalb wird es Zeit, daß du dich eines Besseren besinnst. Du bist ja auch nicht mehr die Jüngste.«
    Gudrun überging die bissige Bemerkung ihrer Tochter und sammelte die verstreuten Kleider vom Boden auf. » Ja, was, meinst du also, soll ich anziehen? Ich kann ja da nicht nackt aufkreuzen.«
    Johanna zog kurz entschlossen ein dunkelblaues schlichtes Leinenkleid mit einem weißen Schulmädchenkragen aus dem Kleiderhaufen.
    » Wie wär’s denn damit?«
    » Willst du, daß ich in diesem Büßerhemdchen

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