Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Augenblick der Ewigkeit - Roman

Titel: Augenblick der Ewigkeit - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
Vom Netzwerk:
Pawel für die Revue der beiden berühmtesten Musikclowns, Werich & Voskovec, geschrieben hatte, die allabendlich ihr Publikum mit seinen Couplets und Chansons zu Begeisterungsstürmen hinrissen.
    » Voilà, soweit ist es mit mir gekommen.«
    Er machte eine wegwerfende Handbewegung und erlaubte sich ein leises Kichern. » Wissen Sie, Herzog, was das Wirkungsvollste ist an meiner Musik? Das Publikum zu überwältigen, ohne sein Bedürfnis nach Werten zu befriedigen…« Er schnipste mit den Fingern im Dreivierteltakt der Tanzmusik. » …oder im Gegenteil ihm mit einem Gassenhauer Zucker in den Arsch zu blasen.«
    Sie stiegen die Stufen zur Karlsbrücke hinauf. Das Eis auf der Moldau glänzte im Licht der Gaslaternen, die das Brückengeländer und den Franzenskai am Ufer säumten. Als sie in die Kaprova einbogen, merkte Karl, wie ihm das Herz im Hals klopfte. Er spürte Pavels Hand auf seinem Rücken. Er hatte es ihm leichtgemacht, sich ihm gegenüber zu öffnen, ja, er schwärmte geradezu für ihn. Er selbst war jung, kaum siebzehn Jahre alt und neugierig genug. Doch er gab dem sanften Werben, ihm die schmale Stiege in sein Zimmer hinaufzufolgen, nicht nach. War er glücklich oder unglücklich darüber? Er wußte es nicht. Er war zu lange mit sich allein gewesen. Wie aus einem Impuls heraus, legte er ihm die Arme auf die Schulter, drückte die Stirn gegen seine Brust und flüsterte. » Ein andermal vielleicht.«
    Pavel gab ihm einen flüchtigen Kuß und machte sich los. » Dann also bis morgen früh um acht, mein Freund. Und vergessen Sie nicht, ihren goldenen Engel mitzubringen!«
    Er hatte sich die Wollmütze in die Stirn gezogen und den Schal vor Mund und Nase gebunden, der mit Eiskristallen seines Atems bedeckt war. Er mußte aufpassen, nicht auf den verschneiten Treppen auszurutschen, die zwischen Gärten und Backsteinmauern den Laurenziberg hinunterführten. Es war so früh am Morgen, daß der Schnee auf den Stufen noch jungfräulich und unberührt war. Nur vereinzelt konnte man die Spur eines streunenden Hundes oder die zarten Y-Keilschriftzeichen eines Vogels entziffern.
    Auf einem Absatz blieb er stehen. Die Stadt lag unter einem weißen Tuch, in blaues Licht gehüllt, das keine Wärme ausstrahlte. Nebelfetzen filterten die aufgehende Sonne. Die Kaiser-Franzens- und die Palacky-Brücke spannten sich, gesäumt vom Licht der Gaslaternen, über den noch im Dunkeln liegenden Fluß, indes auf dem gegenüberliegenden Ufer die Türme der Altstadt bereits im stumpfen Glanz des Morgenlichts über die Nebeldecke ragten.
    Es hatte die ganze Nacht geschneit. Die Zweige der Büsche und Bäume im Garten des Lobkowitz-Palais bogen sich unter der Last des Schnees, der sie zu Boden drückte, bis die Wächten zu schwer geworden waren. Dann brachen sie oder schnellten, ihrer Last entledigt, in ihre Ausgangslage zurück, und eine Wolke pulverisierter Flocken wirbelte durch die Luft.
    Er lehnte sich über ein Geländer. Direkt unter ihm, wo die höheren Häuser auf den Schultern der jeweils niedrigeren standen, tauchten die Ziegeldächer der Kleinseite in die ersten Sonnenstrahlen. Brauner Rauch stieg auf aus unzähligen Schornsteinen, und in der Luft lag ein Duft von Kaffee und frisch gebackenem Brot. Aller Unrat und alles Elend des Viertels waren wie auf dem Backblech eines Zuckerbäckers vom Schnee überpudert, und mittendrin hockte die grüne Barockkuppel auf der Niklaskirche wie der Deckel auf einer riesigen Suppenschüssel. Er verdrehte die Augen. Alles, woran er denken konnte, hatte etwas mit Essen zu tun.
    Er hüpfte die Treppen hinunter, indem er die flachen Stiegen mit zwei Schritten nach links und darauf mit zwei nach rechts nahm, wobei er versuchte, drei kleine Trippelschritte im letzten Zeitmaß unterzubringen, » …und eins und zwei und drei und viehiehier…«, eine komplizierte Rhythmusübung, die am Nachmittag bei Professor Neumann auf dem Lehrplan stand. Er schlitterte am Portal des verschneiten Schönborn-Palais vorüber, nickte den Löwenköpfen zu, die beharrlich auf ihre eisernen Ringe bissen, nahm eine Abkürzung durch Hinterhöfe von melancholischer Armseligkeit, wo auf den Pawlatschen-Galerien hungrige Kinder, in Fetzen gekleidet, herumlungerten und froren.
    Vor der Malteskirche bog er nach links in die Brückengasse und gelangte durch ein Tor auf die Karlsbrücke. Sie war noch nicht geräumt, und der Schnee auf den Schienen dämpfte die Fahrgeräusche der menschenleeren Straßenbahn, die in einer

Weitere Kostenlose Bücher