Augenblick der Ewigkeit - Roman
schließlich zwischen dem Schwarzawa- und dem Zwittawafluß auf dem Spielberg die mächtige Zitadelle der mährischen Hauptstadt aufragen sah.
Sie überreichte dem Portier des Grandhotel ihre Autoschlüssel und ließ sich das Gepäck von einem Hausdiener mit grüner Schürze aufs Zimmer tragen. Das Personal des eleganten, im Stil der Wiener Sezession gebauten Luxushotels schien noch aus besten k.u.k. Zeiten zu stammen. Der Hoteldirektor persönlich segelte mit beseeltem Lächeln auf Franziska zu, eilte die mit rotem Velours ausgelegten Gänge voraus, riß die gepolsterte Doppeltür zu einem der Salons in der Beletage auf, ließ sie mit einer tiefen Verbeugung eintreten, überholte sie abermals geschmeidig, schob die Vorhänge zur Seite und öffnete mit einer eleganten Bewegung beide Flügel der Balkontür gleichzeitig. » Voilà, Madame…«
» …Mademoiselle!«
» Pardon– Mademoiselle Wertheimer naturellement! Ich hoffe, Sie sind mit Ihrem Zimmer zufrieden. In der Avisierung Ihrer Ankunft wurde uns von dem Bankhaus Ihres Vaters mitgeteilt, Sie wünschten ein Corps de logis mit Balkon und Blick auf unsere schöne Parkanlage.«
Davon war nie die Rede gewesen! Sie hatte sich sogar heftig dagegen gesträubt, daß ihre Eltern versucht hatten, sich in alles einzumischen und über ihren Kopf hinweg Entscheidungen zu treffen.
Der Hoteldirektor stieß die Verbindungstür zu einem geräumigen Badezimmer auf, mit grauweißen Kacheln, einer freistehenden Badewanne auf Löwenfüßen und voluminösen Messingarmaturen. Danach eine weitere Tür, die vom Salon in ein etwas kleineres, ganz in Blau und Grau gehaltenes Schlafzimmer führte, mit gestreifter Tapete, Lampen aus Milchglas und einem quadratischen Gardinenbett, über dem sich ein Baldachin aus feinstem, fast durchsichtigem Taffetgewebe wölbte.
» Stets zu Ihren Diensten. Sie brauchen nur zu läuten.« Er zog an einer bestickten Quaste, und im Nu bemächtigten zwei Zimmermädchen sich ihres Gepäcks. » Jede Annehmlichkeit des Hauses steht Ihnen stante pede zur Verfügung, Mademoiselle.«
Damit öffnete er die Schublade eines zierlichen Schreibtisches, auf dem ein Früchtekörbchen stand nebst einem Obstbesteck, als eine Aufmerksamkeit der Direktion des Hauses, deren Willkommenskarte zwischen zwei Äpfeln steckte.
» Wenn es genehm ist, Mademoiselle, dieses Meldeblatt können Sie auch noch später ausfüllen. Ich hoffe, Sie haben einen angenehmen Aufenthalt!«
Damit zog er sich zurück, legte eine Hand auf die gestärkte Frackhemdbrust und schloß, ohne noch einmal aufzusehen, mit einer tiefen Verbeugung die Tür. Die beiden Zimmermädchen packten inzwischen die Koffer aus und hängten ihre Garderobe auf Kleiderbügeln in die Schränke. Obwohl sie ihr Leben lang von hilfreichen Geistern umgeben war, diese Fürsorglichkeit des Hotelpersonals fand sie dann doch ein wenig übertrieben.
Franziska trat auf den Balkon hinaus. Es regnete. Die langgestreckte Parkanlage vor dem Hotel lag wie ausgestorben da. Vor dem Bahnhofsportal auf der gegenüberliegenden Seite warteten einige Taxis auf ankommende Reisende, und nasse Droschkengäule dösten vor den Mietkutschen, die Mäuler in ihren Hafersäcken.
Die Verlassenheit des Platzes übte eine fast schmerzliche Wirkung auf sie aus, so fremd fühlte sie sich in dieser Stadt. Nach der wilden Fahrt kam ihr hier alles leblos vor. Den Motorlärm noch in den Ohren, wurde ihr plötzlich die betäubende Stille bewußt, die wie eine Glocke über der Parkanlage hing. Nur die Regentropfen fielen zart wie Töne eines Xylophons von Blatt zu Blatt. Ein Gefühl von Unwirklichkeit beschlich sie, und sie fing an, ihr ganzes Vorhaben in Frage zu stellen. Vielleicht war es vermessen hierherzufahren, ohne zu wissen, ob sie überhaupt willkommen war. Wie würde Karl reagieren, wenn sie so unvermutet vor ihm stand? Sie schämte sich. Sie hatte sich verhalten wie ein Backfisch. Sie stieß einen zornigen Seufzer aus, ballte ihre Hände zu Fäusten und stampfte mit dem Fuß. Aller Mut hatte sie verlassen, und am liebsten wäre sie auf der Stelle nach Wien zurückgefahren.
Mittlerweile hatte es aufgehört zu regnen. Die Szene belebte sich. Straßenbahnen bogen auf den Bahnhofsvorplatz ein, Spatzen rauften sich um die Pferdeäpfel der Droschkengäule, Fahrgäste kamen aus dem Bahnhofsportal und stiegen in die Taxis. Flaneure und Passanten, die sich unter die ausladenden Baumkronen der Kastanienbäume geflüchtet hatten, klappten ihre Regenschirme zu
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