Augenblick der Ewigkeit - Roman
Routinier und Rampentiger, der es bis auf die Bühnen Wiens geschafft hatte und nunmehr dem allmählichen Ende seiner Karriere als Regisseur und Sänger in der Provinz entgegensah. Er trat in einer schwarzen Pelerine auf, mit Lackschuhen und weißen Glacéhandschuhen, entledigte sich ein wenig betrunken seines Stocks und des Zylinders, taumelte an die Rampe und sang mit selig ausgebreiteten Armen die erste Strophe seines Auftrittliedes, das ihn als einen vielbeschäftigten Diplomaten aus dem fernen Pontevedro auswies, auf dessen Schreibtisch sich die Aktenberge nur so häuften, weil er, kaum im Büro, schon gleich darauf wieder fortmüsse und deshalb stets ganz anderswo anzutreffen sei.
Bei einem tänzerischen Zwischenspiel stolperte der Sänger und mußte sich, um nicht in den Orchestergraben zu stürzen, an einem Kleiderständer festhalten, was vom Publikum als inszeniertes Spiel mit großem Gelächter belohnt wurde. Franziska erkannte sofort, daß seine Trunkenheit nicht gespielt war. Besorgt ging ihr Blick zu Karl, der ein Malheur verhindert hatte, weil er geistesgegenwärtig die Tempi noch so rechtzeitig zurückgenommen hatte, daß das Orchester die unfreiwillige Pause bravourös überbrücken konnte, bis der Sänger sich wieder gefangen hatte.
Kaum einer im Publikum schien das Drama zu bemerken, das sich mit dem Auftritt des Kammersängers auf der Bühne abzuspielen begann. Der war mittlerweile mit den Fingern schnalzend zur gegenüberliegenden Bühnenseite getaumelt, wo er hilfesuchend zur Souffleuse blickte, weil er seinen Text vergessen hatte. Karl gelang es, auch diese Zwangspause musikalisch zu überbrücken, indem er die Takte vor dem Einsatz des Gesangs so lange wiederholen ließ, bis der Tenor sein Stichwort aufgefangen hatte und singend verkündete, daß es bei der vielen Arbeit ja kein Wunder sei, wenn er sich zum Ausgleich dafür die Nächte im Maxim um die Ohren schlagen müsse. Das Publikum hielt auch das für einen gelungenen Regieeinfall und tobte vor Begeisterung. Selbst Franziska mußte über seine unfreiwillige Komik lachen.
Den Rest der Arie sang der Kammersänger mit einer Art Schluckauf oder Schluchzen in der Stimme, dem hörbaren Brechen seines sehnsüchtigen Herzens nach all den schönen und süßen Damen, die er dort stets antreffe, nach Lolo und Dodo, Margot und Froufrou, die ihn sein teures Vaterland vergessen ließen und mit ihm kosen und küssen sowie Champagner trinken würden. Danach verbeugte er sich elegant und segelte schwungvoll nach hinten, wobei er vergeblich versuchte, durch eine aufgemalte Kulissentüre abzutreten, bis der Inspizient sich seiner erbarmte und den Vorhang fallen ließ.
Das Orchester hörte auf zu spielen. Einige Buhrufe waren zu hören. Türen knallten. Während ein Teil des Publikums dem Sänger frenetisch applaudierte, um ihn zu einem Da capo zu bewegen, stand Karl hilflos und mit hängenden Armen vor dem geschlossenen Vorhang und konnte nur den Kopf schütteln. Franziska litt mit ihm. Sie ließ ihre Rose über die Brüstung fallen, und bevor Karl zu ihr aufsehen konnte, hatte sie die Galerie verlassen.
Eine Hängelampe baumelte über einer Rampe, die auf der Rückseite des Opernhauses zur Hinterbühne führte. Das Tor stand offen, der eiserne Vorhang zur Bühne hin war hochgezogen, und Franziska konnte die Bühnenarbeiter beobachten, wie sie die Kulissen zurück in die Magazine trugen. Die Vorstellung war zu Ende, die Zuschauer hatten das Theater längst verlassen. Nur Karl war noch nicht aus dem Bühneneingang herausgekommen. Es war eine laue Nacht. Nachtigallen sangen im nahe gelegenen Stadtpark. Sie hatte sich ihren Trenchcoat um die Schultern gelegt, die Baskenmütze in die Stirn gezogen und verharrte geduldig im Dunkeln einer Backsteinmauer. Solange noch einige Autogrammjäger den Bühneneingang umlagerten, brauchte sie nicht zu befürchten, daß die Künstler auf einem anderen Weg das Theater verlassen haben könnten.
Eine Autodroschke wartete in der Auffahrt, bis der Star des Abends, Siegfried Maier-Schott, sich abgeschminkt und sein Adelskostüm gegen gewöhnliche Straßenkleider getauscht hatte. Endlich öffnete sich die Bühnenpforte, ein Chauffeur eilte auf die bereitstehende Droschke zu, riß den Wagenschlag auf. Die Autogrammjäger klatschten, und der Bühnenpförtner zog die Dienstmütze. Schon aus dem Treppenhaus war die laute Stimmen des Kammersängers zu hören. » Ach, hören Sie doch auf, Sie Kapellmeisterlein. Sie können mir ja
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