Augenblick der Ewigkeit - Roman
und traten mit prüfenden Blicken zum Himmel ins Freie, um ihre unterbrochenen Besorgungen und Geschäfte wiederaufzunehmen. Die Wolken hatten sich verzogen, und langsam beruhigte sich auch ihr Gemüt.
Sie beschloß, weder bei Karl mit der Tür ins Haus zu fallen, noch sonst etwas zu überstürzen– jedoch bei der ersten sich bietenden Gelegenheit aus diesem goldenen Käfig auszubrechen und sich eine Studentenbude in der Stadt zu suchen. Mit diesem Vorsatz stieß sie sich vom Balkongeländer ab und ging zurück in den Salon. Dort ließ sie sich mit dem Concierge verbinden und bestellte für den Abend eine Karte für das Nationaltheater. » Nein– auf keinen Fall im Parkett, und bitte auch keinen Logenplatz. Am liebsten wäre mir ein unauffälliger Platz in den oberen Rängen oder auf der Galerie.«
Sie ließ das Badewasser in die Wanne laufen und setzte sich solange auf ihr Bett. In ihrem Necessaire suchte sie nach dem rotseidenen Schleifchen, das sie oft als Kind getragen hatte, versiegelte es in einem Hotelkuvert, schrieb Karls Adresse darauf und bat eines der Zimmermädchen, den Brief sofort per Boten zuzustellen. Dann fing sie an, sich langsam auszuziehen. Bis zur Abendvorstellung hatte sie genügend Zeit, Toilette zu machen.
Als es dunkel wurde, stand sie unschlüssig vor der Auffahrt zum Theater, halbverdeckt von den Büschen des Blumenrondells, und blickte mit Herzklopfen auf die Neorenaissancefassade, in deren Mitte Dionysos auf einem von Löwen und Panthern gezogenen Wagen thronte. Motor- und Pferdedroschken kamen die Auffahrt hoch, hielten unter dem dreiachsigen Portikus, dessen Säulen eine Loggia trugen, und entließen ihre festlich gekleideten Fahrgäste in das hell erleuchtete Vestibül des Nationaltheaters.
An jenem Abend spielte die Vereinigte Deutsche Bühne eine Operette über einen Gesandtschaftssekretär, der mit einer Witwe, deren Trauerzeit zu Ende war, verheiratet werden sollte. Die Abendvorstellung war ausverkauft.
Eigentlich wollte sie noch warten und sich erst zum Schluß ins Theater schleichen, um Karl nicht in die Arme zu laufen. Dem Plakat an der Hotelrezeption hatte sie entnommen, daß er die Abendvorstellung dirigierte. Doch als das muntere Publikum aus dem überfüllten Foyer auf die Loggia drängte, weil es drinnen kaum noch ein Durchkommen gab, war sie sicher, daß er sie in diesem Gewühl wohl kaum entdecken würde. Sie stahl sich eine Rose aus dem Blumenrondell und steckte sie an ihr Kleid.
Wiewohl bemüht, kein Aufsehen zu erregen, zog sie die Blicke aller auf sich. Ihre Erscheinung war so bezaubernd, daß schon auf dem Weg in den » Olymp« hinauf getuschelt wurde. Ein halbes Dutzend Operngläser richteten sich auf sie, als sie auf der Galerie über dem Proszenium ihren Platz einnahm, selbst auch dann noch, als der Vorhang aufgegangen war und die Vorstellung begonnen hatte.
Vorsichtig beugte sie sich über die Samtbrüstung und blickte in den Orchestergraben, der tief unter ihr von emsiger Geschäftigkeit brodelte, staunte über die flinken Finger der Piccolo- und Holzbläser, die wirbelnden Hände der Kesselpauker, die auf und nieder gleitenden Arme der Streicher und die geblähten Backen der Trompeter und Posaunisten. Die Lämpchen an den Notenpulten spiegelten sich in den Linsen ihres Opernglases, und als sie es für einen kurzen Augenblick absetzte, leuchteten sie in ihren Augen. Ein rosa Schimmer lag auf ihren Wangen, und ihre Lippen glänzten rot in ihrem Gesicht.
Über all dem musikalischen Gebrodel schwebte Karl im schwarzen Frack auf einem Podest. Sein Gesicht glühte im Widerschein der aufgeschlagenen Partitur. Seine Arme und Hände waren ständig und so raumgreifend im Einsatz, zugleich Orchestermusiker, Chor und die Gesangssolisten fordernd, dämpfend oder stimulierend, als wäre er mit dem Geschehen auf der Bühne wie im Orchestergraben aufs innigste verschmolzen. Es war das erste Mal, daß sie ihn ein Orchester dirigieren sah. Sie richtete ihr Opernglas auf ihn und stellte mit Befriedigung fest, daß er ihr kleines rotseidenes Schleifchen am Revers befestigt hatte. Er wußte also, daß sie im Theater war. Schon beim ersten Auftrittsapplaus, als er sich hinter der Orchesterbalustrade verbeugte, merkte sie, wie unverhohlen seine Augen nach ihr suchten.
Im Mittelpunkt des Abends stand ein Schürzenjäger und Müßiggänger, der seine Abende regelmäßig im Pariser Maxim verbrachte. Er wurde dargestellt von dem beliebten Siegfried Maier-Schott, einem
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