Augenblick der Ewigkeit - Roman
sein, denn hier waren sie keinem mehr Rechenschaft schuldig.
Träge schmiegte sie sich an ihn, schloß ihre Arme um seinen Rücken. Ihre Lippen wanderten über seine Haut, und ihre Zunge leckte die Salzkristalle von seinen Schultern, die er beim Dirigieren ausgeschwitzt hatte. Sie schmiegte ihre Lippen in seine Augenhöhlen und spürte den Puls, der in der Wölbung seiner Augenlider schlug. Damit ein Auge nicht bevorzugt wurde, küßte sie das andere auch, ausführlich und ohne Hast.
Nichts hatte Eile in dieser Nacht. All ihre Bewegungen waren träge und langsam wie unter Wasser. Er preßte sie an sich, beugte den Kopf ein wenig und drückte seine Zähne in die Kuhle ihres Halses. Sie spürte, daß er kurz davor war zuzubeißen, und schüttelte ihn wie einen Hund. Er aber blieb an sie geklammert, die Zähne entblößt zu einem stummen Schrei. Ihr Körper drängte sich ihm entgegen. Ihr Atem. Sein Keuchen. Ihre Füße auf seinem Rücken drückten ihn sanft auf und nieder. Das wolkige Anschwellen in ihrem Bauch versetzte sie in einen Rausch. Bei jedem Schauer stöhnte sie. Liebe durchflutete sie, ein blindes Strömen, bis alle Widerstände überwunden waren und in ihrem Kopf ein Feuerwerk explodierte.
Ihr Körper ruhte so leicht an seiner Seite, als hätte sie einen Platz in der Schwerelosigkeit des Alls gefunden. Aufgestützt blickte er auf sie hinunter. » Bist du glücklich?«
Sie antwortete nicht.
» Sag doch…«
» Das sagt sich nicht. Das fühlt man.«
» Bist du dir nicht sicher, weil du nicht darüber sprechen kannst?«
» Wenn ich unglücklich wäre, würde ich es sagen.«
» Glücklichsein ist ein so großes Gefühl, daß man darüber sprechen muß!«
Sie war glücklich, weil sie ihn liebte. Aber sie wagte nicht, es ihm zu sagen, weil sie fürchtete, er könnte noch nicht bereit dazu sein. Für sie hatte Liebe etwas Gefährdetes, ein flüchtiges Kapital, mit dem man nicht leichtsinnig umgehen durfte. Liebe konnte sich in vielen Arten äußern und sich vielen Menschen zuwenden, aber der Vorrat war begrenzt und konnte aufgebraucht sein, ehe man sein eigentliches Ziel erreicht hatte.
» Es macht mich glücklich, wenn ich deinen Körper spüre. Und du?«
» Mir bricht das Herz vor Glück.«
Er saß im Schein der Nachttischlampe auf dem Bett, wie ein Kranker mit seinen Arzneien, umgeben von Notenblättern und Librettotexten. » Schlimm ist nicht die Schlamperei an dem Theater, viel schlimmer ist, wie junge und begabte Talente hier behindert und verdorben werden. Wer an der Met oder in Bayreuth den Tristan singt, muß ihn erst einmal an einem deutschen Provinztheater gesungen haben! Schließlich haben auch Leo Slezak und Maria Jeritza ihre Karrieren hier in Brünn gestartet.«
Nach jener Nacht war Franziska unter das schräge Dach seiner Mansardenwohnung gezogen. Karl hatte sie überreden können, entgegen ihrer ursprünglichen Absicht die Hotelsuite im Grandhotel zu behalten, um keinen Verdacht bei ihren Eltern zu erwecken. Anstatt ihr fürstliches Badezimmer mit fließend heißem Wasser zu benutzen, wachte sie in seinen Armen auf, stellte sich in eine Zinkwanne, um sich einen Krug eiskalten Wassers über den Kopf zu gießen. Karl sah ihr zu, wie sie vor Kälte schaudernd die Wassertropfen mit den Händen von der nackten Haut abstreifte und sich mit einem Handtuch abtrocknete. Das weiße Negativ ihres Badeanzugs leuchtete im schummrigen Mansardenlicht, als wäre sie dort mit Mehl bestäubt. » Eine Pamina und einen Papageno habe ich, aber daß dieser Maier-Schott den Tamino singen soll? Nur über meine Leiche! Die Intendanz verlangt sogar, daß er die Inszenierung übernimmt!«
Die Partitur der Zauberflöte lag im Lampenlicht auf seinem Schoß. Er hatte mit Bleistift Annotationen angebracht. Zeilen waren durchgestrichen und die Ränder mit Anmerkungen in verschiedenen Farben versehen. Franziska hielt das Handtuch lässig vor der Brust und beugte sich zu ihm hinunter. Sie befeuchtete ihren Zeigefinger mit der Zungenspitze und fuhr ihm damit über die Augenbrauen. » Das ist deine Sache!«
» Dann muß das Orchester um mehr als zwei Dutzend Musiker aufgestockt werden.«
» Auch das ist deine Sache!«
Nach der Weigerung der neuen Intendanz des Tschechischen Nationaltheaters, ihm die versprochenen Musiker zur Verfügung zu stellen, war guter Rat teuer. Solange Franti š ek Neumann noch gelebt hatte, durfte Karl sogar an der Jan á ˇ cek-Premiere des Makropulos mitarbeiten. Nachdem sein Mentor
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